[RBB Kultur] Rahel, damit Sie mich kennen

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    • [RBB Kultur] Rahel, damit Sie mich kennen

      Inhalt:
      Teil 1: Dass ich ein Schlemihl und eine Jüdin bin
      Am 19. Mai 1771 kommt sie in Berlin zur Welt: Rahel Levin, älteste Tochter des jüdischen Bankiers und Händlers Markus Levin und seiner Frau Chaie. Die Levins genießen hohes Ansehen bei Friedrich II. – ansonsten ist es mit Ansehen und Rechten für sie als Juden in der preußischen Gesellschaft nicht gut bestellt. Doch die Levins sind eine stolze Familie und führen ein großes, geselliges Haus in der Nähe des Gendarmenmarktes. Rahel und ihre Geschwister Markus, Rose und Robert – gebildet, modern und kulturell immer auf dem Quivive – fühlen sich vor allem als Berliner. Doch das Judentum ist etwas, was man sie immer spüren lassen wird: als Hemmschuh, viel zu klein und einengend für eine Rahel, die Lust auf die große, weite Welt hat. „Heißa lustig! Wer weiß, ob die Welt noch 4 Wochen steht. Kann man nicht jeden Augenblick Zahnschmerzen bekommen?“, schreibt die 23-jährige Rahel.

      Teil 2: Freundschaft als Prinzip
      „Helfen Sie mir, dass ich nicht dumm bleibe! Erst heut und gestern hab ich rasend werden wollen, dass ich nichts weiß“, schreibt Rahel 1792 an ihren Jugendfreund David Veit. David hat es gut. Denn als Mann darf er studieren. Doch auch die junge Rahel giert nach Bildung, will alles wissen und aufsaugen, all die neuen Bücher, die neuesten Theaterpremieren und die Entwicklungen in der Philosophie. David Veit schickt ihr Bücher – gemeinsam lesen und streiten sie über die Bestseller ihrer Zeit: „Die Leiden des jungen Werthers“ oder „Iphigenie auf Tauris“. Doch auch über ihren jeweiligen Alltag erzählen sie sich, über etwaige Amouren oder die neue Kunst des Walzer-Tanzens und über das, was sie beide als große Ungerechtigkeit umtreibt: ihren geringen Status als Juden in der deutschen Gesellschaft.

      Teil 3: Meine geliebte Seele, wie fehlst Du mir!
      Karl Graf Finck von Finckenstein, Spross eines alten preußischen Adelsgeschlechts. Jung, blond, musisch begabt, gebildet – Rahel lernt ihn im Frühjahr 1795 in der Oper kennen. Man sitzt Loge an Loge, in der Pause wird man einander vorgestellt. Und bald schon geht Graf von Finckenstein im Hause Levin ein und aus. Rahel ist verliebt, Karl auch. Rahel hätte es gern, dass er sie heiratete. Karl mit seinem preußischen Adelstitel wäre nicht nur die große Liebe, sondern auch eine gute Partie, die aus der Jüdin Rahel eine anerkannte Preußin machte. Und Karl? Kann er nicht, will er nicht, darf er nicht? Rahels erste Liebe droht in einem Fiasko zu enden. „Ich will Dich ermahnen, mich nicht so unglücklich zu machen, als es Dir möglich ist. Nicht erst in zwei, drei, vier Jahren tue es. Habe Mut. Ich empfehle mich Dir nicht“, schreibt Rahel.

      Teil 4: … wie würden Sie es finden, wir gingen zur Levi?
      "Einen gepackten Reisewagen und einen Dolch sollte ein jeder haben; dass, wenn er sich fühlt, er gleich abreisen kann." Nach der Trennung von Karl von Finckenstein geht Rahel im Winter 1800 nach Paris. Sie braucht Abstand. Die Schmach, dass sie als fast 30-Jährige noch immer unverheiratet ist, wird ihr umso bewusster, da sich ihre übrigen Geschwister zum Stolz der Mutter gut verheiraten. Gerade wird für Rahels jüngere Schwester Rose in Amsterdam die Hochzeit ausgerichtet. Rahel muss die gescheiterte Beziehung zu Finckenstein verwinden. Jahrelang wird sie damit beschäftigt sein. Als sie nach einem Jahr doch wieder nach Berlin zurückkehrt, beginnt eine dennoch glückliche Zeit. Rahel nimmt ihre zahlreichen Freundschaften wieder auf und bald trifft sich das Who is who Berlins bei ihr.

      Teil 5: Napoleon in Berlin
      Bei Rahel in der Jägerstraße 54 trifft man sich zur Abendgesellschaft. Wilhelm und Alexander von Humboldt erscheinen, Prinz Louis Ferdinand von Preußen kommt aus dem nahen Stadtschloss herüber und trifft hier seine Geliebte Pauline Wiesel, Rahels Freundin. Friedrich Schleiermacher, Dorothea Veit, Jean Paul, Jette Mendelssohn und Friedrich Schlegel gehen ein und aus. Einer von Rahels Gästen ist der junge Staatsdenker und Kritiker der Französischen Revolution Friedrich Gentz – man hört zusammen Vorträge, diskutiert darüber, flirtet nebenbei. Fünf Jahre lang dauert diese Hoch-Zeit an, die in die deutsche Kulturgeschichte eingehen wird. Dann plötzlich, mit dem Einzug Napoleons durch das Brandenburger Tor und der Besetzung Berlins am 27. Oktober 1806, wird Rahels Freundeskreis gesprengt und in alle Winde verstreut. Ein Gutes hält der Umbruch für Rahel dennoch bereit: Bei einer Vorlesung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte lernt sie Karl August Varnhagen von Ense kennen...

      Teil 6: Krieg ist für keinen gebildeten Menschen
      Als unverheiratete Tochter hat sich Rahel nur allzu oft zurückgesetzt gefühlt. Als sei sie Nutznießerin des Familienerbes und läge den anderen Geschwistern auf der Tasche! Mit Bruder Markus gibt es darüber andauernden Streit, mit der Mutter gar ein Zerwürfnis von solcher Heftigkeit, dass Rahel aus der Jägerstraße auszieht. Von nun an wohnt sie, die alleinstehende Frau, in der Charlottenstraße 22. Dennoch ist der Tod der Mutter ein schwerer Schlag für Rahel und die Familie. Krieg herrscht in Preußen. Rahel lernt den jungen Alexander von der Marwitz kennen, auch hat sie Karl August von Varnhagen, "Guste". Sie sind verlobt. Oder bedeutet das Karl etwa nichts? "Ich war sehr krank. Grässlich unglücklich; bin alt geworden, und verstehe keinen Spaß mit meinem Schicksal mehr. Heiraten willst Du mich immer nebenher! Bei einer Frau bleibt man. Sonst ist es keine!" So schreibt ihm Rahel im Oktober 1810.

      Teil 7: Ich bin hier sehr wirksam
      Im März 1813 beginnen die Befreiungskriege. Varnhagen tritt in den Armeedienst ein, Alexander von der Marwitz ebenfalls. Gemeinsam mit der Familie verlässt Rahel Berlin und flieht nach Prag. Prag ist voller Flüchtlinge und Verwundeter. Rahel findet Unterschlupf bei der Schauspielerin Auguste Brede und kümmert sich um Verwundete und Kranke. Unter ihren wohlhabenden Freundinnen, wie Caroline von Humboldt, sammelt sie Geld. Sie organisiert ein Lazarett und verteilt Kleidung und Essen an die Verwundeten, die in Prag zerlumpt auf den Straßen liegen. Lange hört sie nichts von Marwitz, nichts von Varnhagen. Briefe bleiben aus. Sind die geliebten Freunde tot? Gentz ist da. Immer wieder Gentz. Charmant und voller Esprit – doch ein Mann für Rahel ist er nicht. Endlich hat Gentz, mittlerweile österreichischer Diplomat, etwas von Varnhagen gehört. „‘Varnhagen war bei mir‘; Gentz hat es rot unterstrichen. Nun hab ich auch Friede, dieser Zettel ist meine weiße Fahne.“ Doch um Marwitz muss Rahel trauern. Er ist als einer von 4000 in einer der Schlachten gegen Napoleon gefallen.

      Teil 8: Ich lasse mich bloß trauen.
      Fünf Jahre lang waren sie verlobt. Nun, am 27. September 1814 heiraten Rahel und Karl August in Berlin. Kurz zuvor war Rahel zum Christentum übergetreten. Aus Rahel Levin wird Friederike Antonie Varnhagen von Ense. Rahel wird sie weiterhin genannt. Oder "Ralle" von ihrer alten Freundin Pauline Wiesel. Nach langer Zeit schreiben die beiden einander wieder. Als Varnhagen, in diplomatischem Dienst, sie in Paris trifft, ist er erstaunt, wie verlebt sie ist – und doch um Avancen nie verlegen. Gerade macht – Rahel hat nichts anderes erwartet – Gentz ihr den Hof. Die Varnhagens lassen sich in Karlsruhe nieder. Das Land ist im Umbruch. Eine Verfassung soll her. Burschenschaftler verbrennen beim Wartburgfest alte Zöpfe. Der Schriftsteller und Diplomat August von Kotzebue wird ermordet. Die Stimmung ist angespannt. Es kommt zu antisemitischen Ausschreitungen. "Die Gesinnung ist's, die verwerfliche, gemeine, vergiftete, durch und durch faule, die mich so tief kränkt, bis zum herzerkaltendsten Schreck. Ich kenne mein Land! Leider." Und immer wieder kommt es zum Streit zwischen den Geschwistern ...

      Teil 9: Ist es nicht, als ob ich gestern Tee bei Ihnen getrunken habe?
      Nach sechs Jahren des Umherziehens – Prag, Wien, Frankfurt, Karlsruhe, Mannheim – waren die Varnhagens 1819 nach Berlin zurückgekehrt. Das Paar wohnt in der Französischen Straße, nicht weit vom Gendarmenmarkt, in dessen Nähe Rahel aufgewachsen ist. Die Jahre sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Rahel ist nun Mitte 50. Oft ist sie krank. Doch zwei französische Zeitungen hält sie sich, geht ins Theater, hört Vorlesungen, führt eine umfangreiche Korrespondenz, reist, macht Besuche und empfängt die zahlreichen Besucher. Wie 20 Jahre zuvor trifft man sich zu ihren Abendgesellschaften – Hegel, Schleiermacher, Ranke, die Humboldts oder Graf Yorck von Wartenburg und eines Tages ein junger Dichter: Heinrich Heine.

      Teil 10: Die Pockenmaterie muss raus
      In ihren letzten Lebensjahren stößt Heinrich Heine zu Rahels Salon. Der junge Dichter widmet ihr "Die Heimkehr! im "Buch der Lieder" und erweicht damit sogar das Herz von Friedrich Gentz. Die Berliner haben in dieser Zeit andere Sorgen. 1831 bricht die Cholera aus. Große Unsicherheit herrscht. Fliegt die Krankheit wie Schwaden durch die Luft, oder wird sie durch Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen? Rahel selbst unternimmt umfangreiche Schutzmaßnahmen – sie setzt auf Ingwer, Diät und einen strengen Lüftungsplan. Von der Cholera bleibt sie verschont, doch andere Krankheiten, wie Rheuma und Gicht, schwächen sie seit Jahren. Hegel stirbt, ein Jahr später Gentz, mit dem sie noch in den letzten Monaten die immerwährende Auseinandersetzung pflegt. "Goethe, Gentz, Hegel, alles tot; bleibe du nur leben: ich habe nur noch ein paar.", schreibt sie an den Lieblingsbruder Ludwig wenige Tage vor dessen Tod. Rahel selbst stirbt am 7. März 1833, schwer krank. An ihrem Sterbebett ihr Ehemann Karl August Varnhagen und ihre Haushälterin Dore.

      Sprecher:
      Dagmar Manzel, Klara Manzel, Inka Löwendorf, Thomas Lackmann, Jalda Rebling, Niklas Kohrt, Max von Pufendorf, Linda Blümchen, Peggy Bachmann, Lisa Hrdina

      Produktion:
      Akkordeon: Eva Zöllner
      Komposition und Klavier: Dietrich Eichmann
      Regie: Christine Nagel
      rbb 2021

      Der RBB hat das zehnteilige Hörspiel zum
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      OTR-Fan
    • Doch, hat mir gefallen! :zustimm:
      Von Rahel Varnhagen wusste ich bisher nicht viel mehr, als dass sie Zeigenossin Goethes war und literarische Gesellschaften gab, wie sie damals so beliebt waren.
      Würdiges, ausführliches Porträt einer sehr intelligenten, für die damalige Zeit modernen, aufgeschlossenen Frau.
      Und wieder einmal kann ich nur bewundern, mit welchem Eifer sich die "gebildeten Stände" damals gegenseitig ellenlange, perfekt formulierte Briefe schrieben! :schock:
      Heute hängen wir uns ans Telefon und labern meistens einfach drauflos... :fon: :bla2:
      Interessant fand ich auch im 10. Teil, in dem es ja um die damals grassierenden Pocken ging, was die Menschen (die es sich leisten konnten :pfeifen: ) unternahmen, um sich nicht anzustecken. Vieles davon war erstaunlich "fortschrittlich".
      Dazu gibt es hier immer wieder Bezüge zur Corona-Epidemie in Form kleiner Einspieler bzw. Bahndurchsagen.