Realismus in Hörspielen oder: Die Grenzen des Glaubwürdigen!

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    • Realismus in Hörspielen oder: Die Grenzen des Glaubwürdigen!

      In einem anderen Thread kam kürzlich die Frage nach Realismus bzw. Glaubwürigkeit in Hörspielen auf und wie beides zu bewerten sei. Da ich diese Fragestellung nicht auf ein bestimmtes Hörspiel bezogen verstanden wissen möchte, verlinke ich nicht auf diese Diskussion, um neutral über dieses Problem mit Euch diskutieren zu können.

      Konkret ging es um folgende Fragestellung:



      Ich finde es immer wieder erstaunlich - und das ist nicht das erste Mal - dass ich das Gefühl habe, dass man bei Hörspielinszenierungen alles auf die Goldwaage zu legen scheint, während man eine mindestens genauso unrealistische filmische Darstellung oder an den Haaren herbeigezogene Handlung, wie fliegende Rächer in Umhängen, völlig surreale Megamonster, die sich richtig schön auf die Fre*** hauen oder unterbelichtete Superrächer mit Superkräften in Filmen ohne zu murren oder zu knurren durchzuwinken scheint; um jetzt nur zwei, drei Beispiele zu nennen.

      Wo ist da der Unterscheid frage ich mich. Beides ist eine schauspielerische Darstellung mit u.U. frei erfundener Handlung ohne Anspruch auf Glaubwürdigkeit.


      (Ich hoffe, es ist okay für die betreffende Userin, wenn ich sie hier zitiere, sonst gern eine kurze Nachricht an mich, dann umschreibe ich die Problematik nur. :) )

      Ich finde diese Fragestellung hochinteressant und vor allem auch berechtigt und möchte darum sie darum mal an die Runde weiterleiten:

      Wie steht es um Euer Bedürfnis nach Realismus bzw. Glaubwürdigkeit in Hörspielen?

      Und gibt es für Euch einen Unterschied zwischen realistischer Darstellung auf der einen und plotinternen Logik- oder Kontinuitätsbrüchen auf der anderen Seite?

      Oder ist das am Ende alles letztlich genreabhängig?

      Und als letzte Frage: Macht Ihr persönlich Unterschiede zwischen Realismus und Glaubwürdigkeit in Hörspielen oder eben in Filmen, Fernsehserien oder Büchern? Oder legt Ihr bei alledem immer dieselben Maßstäbe an?

      Das würde mich doch mal sehr interessieren. :)
    • Hardenberg schrieb:

      Und als letzte Frage: Macht Ihr persönlich Unterschiede zwischen Realismus und Glaubwürdigkeit in Hörspielen oder eben in Filmen, Fernsehserien oder Büchern? Oder legt Ihr bei alledem immer dieselben Maßstäbe an?
      Ich persönlich lege da eigentlich immer dieselben Maßstäbe an.
      "Beschwere" mich genauso, wenn es mir in einem grundsätzlich auf Realismus angelegten Film oder auch Buch zu abgedreht und zu wenig glaubwürdig wird.
      Wobei ich das oben genannten Beispiel von den Männer in roten Umhängen oder den Megamonstern nicht unbedingt gut gewählt finde.
      Das ist SciFi, das ist Fantasy, da lege ich doch automatisch ganz andere Maßstäbe an als bei Geschichten, die "aus dem wahren Leben geriffen" sein sollen.
      Wäre doch auch irgendwie schlimm, wenn es solche Figuren, solche Plots nicht mehr geben dürfte, man auch da nur nach Glaubwürdigkeit schreien würde.
      Das ist absolut vom Genre abhängig!
      Geht es um Hörspiele, die in dem spielen, was man so unter "realer Welt" versteht, dann möchte ich bitte, dass das auch an der Handlung erkennbar ist und ich nicht bei jedem zweiten Ereignis denke: 'Äh, ja, klar, wem soll das denn bitte jemals passiert sein?!' :zwinker:
      Ganz egal, ob es dabei um zu bizarre Mordserien, zu wenig nachvollziehbares Verhalten der Charaktere oder zu seltsame Settings geht.
      Ich akzeptiere vielleicht noch ein bisschen "Absonderlichkeit" bzw Exzentrik, aber die darf nicht zu gravierend sein - und vor allem darf es nicht von Phantastereien wimmeln.
    • Grundsätzlich mache ich keinen Unterschied zwischen Hörspiel - und Schauspiel-Inszenierungen.
      Im Vordergrund steht bei mir der Unterhaltungswert und dabei spielt es für mich keine Rolle, wenn Handlungsbögen z.B. gegen die Gesetzmäßigkeiten der Physik verstoßen oder unglaubwürdige Subjekte in Erscheinung treten.
      Wenn dann müsste man tatsächlich schon beim sprechenden Elefanten beginnen.

      Viele Hörspielproduktionen überzeugen und verlangen dem Hörer durch seine umfangreichen Handlungsbögen dem Hörer einiges ab. - Stichwort: Otherland - Wenn ich dann dabei auch noch Realismus bzw. Glaubwürdigkeit erhöhte Aufmerksamkeit schenken würde wollen, entstände für meine Begriffe schnell der psychische Overkill.
    • Eigentlich würde ich prinzipiell nicht zwischen Buch, Film und Hörspiel unterscheiden, obwohl ich befürchte, dass ich ganz unbewusst schon bei Hörspielen eine etwas höhere Latte anlegen würde und an Bücher eine noch einmal höhere. Man kennt das ja von Karl-May-, Drei-Fragezeichen- und anderen Hörspielen und unzähligen Literaturverfilmungen: Die Verkürzung auf’s neue Medium, von 600 Seiten Buch auf zwei Stunden Film oder 45 Minuten Hörspiel, schafft Unstimmigkeiten, die im originalen Roman so gar nicht vorkamen (obwohl das Nichtausräumen dieser Unstimmigkeiten dann ein Fehler der Hörspielbearbeitung ist). Außerdem muss man den Unterschied in der schieren Menge und des zu verdienenden, aber auch einzusetzenden Geldes bedenken: Es gibt so viele Filme, daher auch so viele schlechte und schlecht geschriebene und inszenierte Filme, dass Hörspiele, die inzwischen zwar teilweise auch Business sind, aber immer noch nicht so ausschließlich gewinnorientiert (bis vielleicht auf ein paar Ausnahmen), in der Regel doch immer noch mit sehr viel mehr Liebe und Sorgfalt gemacht werden als die meisten Filme.

      Zurück zum Realismus: Selbstverständlich ist der Anspruch auf diesen genrebedingt. Niemand erwartet ernsthaft in einer Action- oder Horrorgeschichte Realismus (was die, die trotzdem irgendwie auf ihn achten, umso besser machen). Ich warte immer noch darauf, dass James Bond in einem Film mal (wenigstens ein bisschen) richtige Detektivarbeit leistet. Entscheidend ist nicht der Realismus unserer Realität, sondern der Realismus innerhalb der Welt der Geschichte.
      Ein Beispiel: Es gibt Science-fiction- und Fantasy-Krimis (zugegeben nicht sehr viele und auf jedenfall nicht genug :D ). Jeder weiß, dass Detektivgeschichten nach Regeln funktionieren: Es muss feststehen, was geht, und was nicht. Die Regeln innerhalb der erfundenen Welt müssen nicht im eigentlichen Sinne realistisch sein (ferne Welten, märchenhafte Kreaturen, „unmögliche“ Technik), aber die Geschichte ist realistisch, wenn sie (die Regeln) festgelegt, kommuniziert und dann auch durchgehalten werden. Bei jedem Mord im hermetisch verschlossenen Raum ist die erste Möglichkeit, die ausgeschlossen werden muss, dass es keine Geheimgänge hinein und hinaus gibt, und auf das „unrealistische“ Setting erweitert heißt das, dass klargestellt werden muss, dass es innerhalb des Bezugsrahmens dieser Geschichte keine Möglichkeit gibt, sich in den Raum hinein und wieder hinaus zu „beamen“, oder der Mörder ein Wesen ist, dass teleportieren oder auch buchstäblich durch Wände gehen kann. (Oder falls das doch die Lösung ist, muss es entlang der Untersuchung explizit gesagt oder durch Indizien angedeutet werden.)

      Und wenn eine Geschichte (egal ob Buch, Hörspiel der Film) ihre eigenen Regeln einhält, ist sie realistisch, was sie automatisch schon einmal besser macht.
    • Ist halt immer eine Frage, welcher Art das Hörspiel ist. Wenn ich ein Hörspiel mit dem Titel "Frankensteins Nichte - Erbin des Wahnsinns" einlege, werde ich sicher andere Maßstäbe anlegen als bei einer beliebigen "Sherlock Holmes"-Folge. An DDF stelle ich deutlich gehobenere Ansprüche als an TKKG.

      Händel ich bei Büchern und Filmen aber genauso. Lese ich einen John Dickson Carr, dann erwarte ich ein völlig absurd konzipiertes Mordkonstrukt. Bei Marvel-Verfilmungen gebe ich bewußt mein Gehirn an der Kasse ab (so ich denn in die Bredouille komme, eine ansehen zu müssen).

      Was ich überhaupt nicht abkann, sind bspw. völlige Kehrtwendungen bei vertrauten Charakteren, um totgelaufenen Konzepten neue Facetten abzuringen, ohne es irgendwie im Storyverlauf zu rechtfertigen.
    • Andy-C schrieb:


      Entscheidend ist nicht der Realismus unserer Realität, sondern der Realismus innerhalb der Welt der Geschichte.
      Ein Beispiel: Es gibt Science-fiction- und Fantasy-Krimis (zugegeben nicht sehr viele und auf jedenfall nicht genug :D ). Jeder weiß, dass Detektivgeschichten nach Regeln funktionieren: Es muss feststehen, was geht, und was nicht. Die Regeln innerhalb der erfundenen Welt müssen nicht im eigentlichen Sinne realistisch sein (ferne Welten, märchenhafte Kreaturen, „unmögliche“ Technik), aber die Geschichte ist realistisch, wenn sie (die Regeln) festgelegt, kommuniziert und dann auch durchgehalten werden.

      Ich finde, das ist ein ganz entscheidender Punkt bei diesem Thema.

      Es geht nicht so sehr um Realismus nach unseren Maßstäben, sondern es geht um Realismus im Sinne von Glaubwürdigkeit und Logik im uns vertrauten Maße. Eine Geschichte führt eine Welt ein, beschreibt die Grundregeln, nach denen diese Welt funktioniert - und muss diese Regeln dann auch konsequent und logisch durchhalten. Alles andere wäre Willkür. Oder eben für mein Empfinden ein schlechter Plot.

      Natürlich muss nicht alles im engsten Sinne realistisch sein. Game of Thrones war auch nicht realistisch. Da gab es ein Fantasy-Setting und Drachen und Nachtwandler und was weiß ich. Und trotzdem war diese Serie in den ersten sechs Staffeln ein hervorragendes Beispiel dafür, dass eine Welt, die nur wenig mit der unseren gemein hat, glaubwürdig und "realistisch" erzählt werden kann.

      Manchmal erfordern gewisse Geschichten auch, dass man als Prämisse einen dicken Brocken schluckt. Ist man dazu nicht bereit, kann es nicht funktionieren. Man muss sich also auf die Rahmenbedingungen der jeweiligen Welt einlassen. Bei Miss Marple etwa muss man akzeptieren, dass die alte Dame immer wieder über Morde stolpert. Das ist nicht gerade wahrscheinlich, aber eben die Prämisse dieser Geschichten. Bei John Sinclair oder Gabriel Burns muss man die Existenz dämonischer Wesen akzeptieren. Mit einem streng naturwissenschaftlichen Ansatz kann man mit dieser Art Geschichten keinen Spaß haben. Bei den drei Fragezeichen gilt es hinzunehmen, dass die drei Jungs im Grunde nie altern, die Zeit einerseits stehenbleibt, andererseits stets ein Abbild unserer Gegenwart ist (denn die Serie ist in den 60'ern des letzten Jahrhunderts geschaffen worden, spielt aber gleichzeitig heute im Zeitalter von Internet und Handys). Das sind also die Serienprämissen. Die muss man hinnehmen.

      Und auch in der Art, wie die Geschichten erzählt werden, wie die Figuren eingeführt werden, wie sie sind, wie sie leben, wie sie sich verhalten, wird quasi eine Prämisse geschaffen, an der sich alles weitere messen lassen muss. Normale Menschen, die sich plötzlich verhalten wie Superhelden, erscheinen nicht glaubwürdig. Charaktere, die sich anders verhalten, als es ihre bisherige Darstellung plausibel erscheinen lässt, obwohl es plotintern nicht erläutert wird? Unglaubwürdig. Bestimmte Wendungen innerhalb eines größeren Plots, die Ereignisse aus der Vergangenheit in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen und im Grunde nicht mehr überein zu bringen sind mit dem, was uns anfangs geschildert wurde? Nicht befriedigend.

      Es geht also bei der Frage "realistisch" oder nicht gar nicht so sehr darum, ob die fiktive Welt nach denselben Gesetzen wie die unsere funktioniert. Sondern eher darum, ob die Bedingungen, die dieser fiktiven Welt unterlegt sind, konsequent beibehalten werden, ob die Figuren innerhlab dieses Rahmens plausibel und nachvollziehbar agieren usw.

      Und das ist eben ganz oft eine handwerkliche Frage. Denn bei vielen Autoren mögen die Ideen überschäumen, aber sie haben eben nicht die handwerklichen Fähigkeiten oder das Geschick, dieses Feuerwerk an Kreativität auf eine für die meisten Hörer befriedigende Weise in einen glaubwürdigen Plot zu gießen. Und dann wirkt die Handlung eben in Teilen nicht nachvollziehbar oder eben unrealistisch.

      Den Verweis auf Superhelden finde ich insofern unglücklich, als dieses Themengebiet ja ein Extrem betrifft. Es gibt natürlich bestimmte Sujets, die per se keinen großen Anspruch auf Wirklichkeitsnähe, auch im Handeln der Personen, oder auf ausgefeilte Logik haben. Man spricht ja auch nicht als erstes über Pornos, wenn man Liebesgeschichten thematisieren will, um es mal überspitzt zu formulieren. :zwinker:

      Es gibt natürlich bestimmte Arten von Geschichten, die wenden sich an eine bestimmte Art von Konsumenten, ganz wertfrei beschrieben. Und da ist eben die gemeinsame Prämisse: Komm, wir nehmen es jetzt mit bestimmten Sachen nicht ganz so genau. Dazu gehören etwa Werke aus dem Bereich des Slasherfims ebenso wie die angesprochenen Superhelden- oder Action-Filme.

      Aber man kann das natürlich auch nicht generalisieren. So ist der erste Alien-Film ein durchaus "realistisch" gemachter Horrorfilm. Und die Fortsetzung davon ein nicht minder "realistisch" gemachter Actionfilm. Also es gibt auch in diesem Bereich solche und solche Beispiele.

      SciFi finde ich ansonsten ein eher schlechtes Beispiel, weil gerade die guten Werke dieses Genres einen sehr hohen Realitätsanspruch haben. Viele Autoren erzählen ja eben nicht einfach bloß irgendwas, was sie sich gerade zurechtgesponnen haben, sondern zeigen in Teilen eine sehr hohe naturwissenschaftliche Bildung, die ganz klar ihre Werke auszeihchnet.

      Ebenso wie man - und da schließt sich der Kreis in meinem Beitrag - beim Schöpfer von Game of Thrones eine hohe historische Bildung erkennen kann.