Der Meister (des Unvollendeten): Die Welt des Volker Sassenberg
Vieles ist zu lesen über diesen Mann, der die deutsche Hörspiellandschaft prägte wie nur wenige andere. So wissen wir etwa, dass er am 13. Juni 1968 in Dortmund geboren wurde und seine Hörspielproduktion unter dem Namen decision products im westfälischen Fröndenberg beheimatet war. Es ist viel berichtet worden über seine Zeit als Musiker und Produzent, er hat, so hört man, mit Ton, Steine, Scherben zusammengearbeitet, aberauch mit Klaus-Jürgen Wussow oder Blümchen.
Und doch bleibt Volker Sassenberg immer auch eine Art Phantom, nicht greifbar hinter der Handvoll Fakten, die wir über ihn sammeln können. Jeder Thread, der sich mit ihm befasst, kann sich also nur um eine Art Annäherung bemühen. Immer wird es Grenzen des Fassbaren geben, wo versucht werden wird, die Leerstellen mit theorien und Spekulationen aufzufüllen. Das hängt aber nicht zuletzzt damit zusammen, dass Volker Sassenberg selbst in seinem, Auftreten stets widersprüchlich blieb. Auf Phasen, in denen er voller Energie und Schöpferdrang zu sein schien, folgten Monaten, manchmal auch Jahre des Stillstands, Worte übersprundelnder Begeisterung wechselten sich ab mit langen Phasen des Schweigens, und auch heute noch zehrt es an nicht vielen Fans seiner Hörspiele, dass die Ankündigungen, mit denen er zuletzt an die Öffentlichkeit trat, bis heute nicht umgesetzt und die Gründe dafür nicht bekannt gegeben wurden. Volker Sassenberg ist und bleibt der Undurchsichtige in der Hörspielbranche. Im Grunde lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal genau feststellen, ob man von ihm nun im Präsens als Hörspielmacher sprechen und schreiben darf oder nicht. Vielleicht hat er sich längst von diesem Teil seines Lebens verabschiedet - und keiner seiner treuen Anhänger weiß davon.
Kommen wir also zu dem, was wir wissen.
Schon sein erster Ausflug in die Gefilde des Hörspiels war nicht ohne Stolpersteine. Im Jahr 2001 erschien die erste Folge der Jugenddetektivserie Point Whitmark, damals noch unter dem Label EDEL. Zehn Folgen sollten erscheinen, damals noch ohne die markanten Cover, dann begann eine regelrechte Odyssee auf der Suche nach einem konstanten Vertriebspartner: von EDEL ging es über Kiddinx zu Karussell, dann für einige Zeit zu Folgenreich und schließlich Sony Music, wo 2019 die bisher letzte Folge dieser Reihe veröffentlicht wurde.
2004 dann fiel der Startschuss für die Serie, die aus verschiedenen Gründen wohl am prägendsten mit dem Namen Sassenberg verbunden bleiben wird: Gabriel Burns. Die Mysteryserie um den erfolglosen Taxifahrer und Kochbuchautoren Steven Burns, der über Nacht in ein Höllenszenario aus mörderischen Grauen Engeln, finsteren Mächten jenseits des irdisch Fassbaren und tiegfsten menschlichen Abgründen gerissen wird, in dessen Zentrum, wie er feststellen muss, er selbst in besonderer Weise steht, faszinierte und spaltete die Hörspielwelt in der Art, wie sie dem Hörer dargeboten wurde. Zu verschachtelt und undurchdringbar für die einen, die Königsklasse des Mystery für die anderen, zeigt Volker Sassenberg mit seiner Regiekunst, dass er es wie kein Zweiter schaffte, über die Komposition eines eingebetteten Erzählers mit szenischer Handlung, Geräuschen und der kongenialen Musik eines Matthias Günthert Hör-Welten zu erzeugen, denen man sich nur schwer entziehen konnte. Zunächst unter der Beteiligung des Autors Raimon Weber, später mit Unterstützung Andreas Gloges entfaltete Sassenberg ein Universum, das so komplex und einzigartig schien, dass noch Jahre nach der letzten Veröffentlichung darüber spekuliert wird und wurde, wie das alles sich jemals hätte auflösen können.
2014 dann, nach neun neuen Folgen und dem Soundtrack Livrare Opt, war dann wieder Schluss. Ohne Angaben von Gründen stellten decision products und Sony Music die Veröffentlichung weiterer Folgen ein. Volker Sassenberg tauchte regelrecht unter. Die vielen Fragen der Hörer, sie verhallten ungehört oder doch wenigstens unbeantwortet.
Der Meisterregisseur schien sich anderen Dingen zuzuwenden, seiner Leidenschaft für Musik etwa oder der Entwicklung einer Sprachstandserfassungssoftware für Vorschulkinder, die er gemeinsam mit seinem Hörspielmusiker unter dem Namen piccoLog auf den Markt brachte und dafür sogar mit einem Preis bedacht wurde.
Nach einigen Jahren der Stille erschien dann im Jahr 2017 bei @DerPoldi das erste offizielle Interview seit Jahren, in dem Volker Sassenberg nicht nur die Entwicklungen der letzten Jahre für sich einordnete, sondern auch die Veröffentlichung neuer Hörspiele ankündigte. Für Gabriel Burns hoffte er darauf, noch im selben Jahr neue Hörspiele veröffnetlichen zu können. Dies erfüllte sich jedoch nicht.
Auch die beliebte Fan-Seite experiment-stille.de, die über viele Jahre hinweg die Arbeit Volker Sassenbergs mit viel Leidenschaft und Akribie begleitete, schloss ihre Pforten, und es schien, als wäre bei den Betreibern auch eine Menge Frust und Enttäuschung mit im Spiel gewesen, als sie diesen Schritt in die Tat umsetzten.
Überhaupt: Volker Sassenberg und seine Wegbegleiter...
Kein einfaches Thema, wie es den Anschein hat. Schon Raimon Weber verließ die gemeinsamen Projekte, und man hatte nicht den Eindruck, dass hier zwei kreative Köpfe in Harmonie voneinander schieden. Es folgte Andreas Gloge, der auf seiner Homepage in knappen Worten zu erkennen gab, dass er, nach dem Erscheinen der bisher letzten Folge, nicht länger ein Ansprechpartner in Sachen Gabriel Burns sei. Auch hier liegt der Verdacht nahe, dass das Ende keines in ungetrübter Harmonie war. In der letzten bisher veröffentlichten Folge der Reihe Point Whitmark, Der Ruf des Wellengängers, verlegt Volker Sassenberg die Handlung ins Hörspiel-Milieu und lässt Figuren durch die Handlung stapfen, die die Initialen von Menschen aus seinem früheren, beruflichen Umfeld tragen. Zufall? Wohl kaum, klagte er nicht zuletzt im Gespräch mit DerPoldi über illoyales Verhalten von früheren Kollegen, sogar von Diebstahl ist die Rede. Wie es scheitn, gibt es also eine Menge Leute, von denen Sassenberg glaubte, da sei noch eine Rechnung offen. Zieht man unter all dem einen Strich und versucht sich an einem Fazit, dann liegt der Verdacht nahe, dass wir es hier mit einem Menschen zu tun haben, der nicht selten mit anderen Menschen Schwierigkeiten bekommt - warum auch immer.
Seitdem... Stille.
Die angekündigte Veröffentlichung von Gabriel Burns fiel aus. Von Point Whitmark erschienen zwei Folge, ehe wieder Funkstille eintrat. Und auch sonst ist nicht zu lesen oder zu hören, was darauf schließen ließe, dass es mit Volker Sassenberg als Hörspielmacher weitergehen könnte. Das letzte Lebenszeichen ist ein Termin, den Sassenberg im Rahmen der von ihm begleiteten Softwareentwicklung zur Sprachstanderfassung bei Vorschulkindern an der Seite der stellvertretenden Bundestagspräsidentin Claudia Roth wahrgenommen hat.
Was bleibt, ist der bislang unvollendete Versuch, im Bereich des Hörspiels etwas Episches zu erschaffen, eine intensive und atmosphärisch unvergleichlich dichte Hörspielwelt voller faszinierender und skurriler Charaktere, die auf bis dahin ungehörte Weise mit den Widrigkeiten des Schicksals zu kämpfen haben. Sassenberg hat ganz sicher die Art, wie Hörspielstoffe umgesetzt werden, mit seinem Wirken nachhaltig geprägt, ganz ähnlich vielleicht, wie dies auch der andere Große des neuen, deutschen Hörspiels geschafft hat, Oliver Döring. Eine Serie wie Die Weiße Lilie etwa ist ohne die Vorarbeit eines Volker Sassenberg kaum denkbar, und noch heute muss sich jedes neue Hörspiel aus dem Bereich Mystery - von Monster1983 über VIDAN zu Hyde away - zuallererst an seinem Gabriel Burns messen lassen. Das ist unzweifelhaft sein großes Verdienst.
Er wird aber, Stand: heute, auch immer als derjenige Hörspielmacher in Erinnerung bleiben, mit dessen Namen man das große Scheitern verbinden wird, das Scheitern an übergroßen Plänen, das Scheitern am eigenen Konzept und nicht zuletzt das Scheitern an sich selbst. Gabriel Burns wird unter den Unvollendeten wohl immer die größte Unvollendete bleiben, und der Faszination dieses einzigartigen Hörspiel-Kosmos wird darum auch immer der Ruch des uneingelösten Versprechens anhaften, welches die Einladung zu einer solchen Serie letztlich immer auch darstellt.
Ist damit alles erwähnt?
Nein, natürlich nicht. Wie gesagt: Sich mit Sassenberg zu befassen, heißt immer, sich einem Phänomen anzunähern, das letztlich in sich widersprüchlich erscheint.
Darum soll hier auch nicht die Quadratur des Kreises versucht werden.
Aber natürlich muss noch eine kleine Perle Erwähnung finden, die Sassenberg ebenfalls geschaffen hat und deren Strahlkraft hinter den großen Schwester Gabriel Burns und Point Whitmark viel zu oft zu verblassen scheint: Abseits der Wege, Sassenbergs Figur, einen weiteren komplexen Serienkosmos, dieses Mal im Fantasy-Genre zu eröffnen, voller wundersamer und bizarrer Figuren, liebenswert wie ein Kinderbuch und dabei in einigen Momenten düster wie Gabriel Burns: Timmo Niesner als Gaston Glück darf sich als Protagonist mit Motzblattern und Knorpelgnomen herumschlagen. Nach sechs Folgen war leider schon wieder Schluss. Der Serie war leider kein größerer Erfolg vergönnt. Vielleicht ein weiterer Superlativ auf dem Konto Volker Sassenberg: die größte Unterschätzte?
++++++
So, nach diesem ausführlichen Überblick über Wirken und Schaffen des Volker Sassenberg seid nun Ihr gefragt, und anders als in den üblichen Threads zu seinen Serien soll es hier nicht ausschließlich um die Frage gehen, wann und ob es weitergeht, sondern darum, was Ihr von Volker Sassenberg als Hörspielmacher haltet.
Was ist seine persönliche Handschrift?
Was macht ihn unverwechselbar?
Wirkt seine Arbeit heute noch fort?
Und welches ist Euer Favorit unter seinen Arbeiten? (Und natürlich warum?)
habt Ihr vielleicht Ergänzungen zu dem oben Vorgetragenen?
Oder Meinungen dazu?
Und wie wird man in ein paar Jahren auf Volker Sassenberg und seine Arbeiten blicken, wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist: Werden seine Serien zu Klassikern des Hörspiels werden, oder kräht irgendwann kein Hahn mehr etwa nach einer unvollendeten Hörspielserie wie Gabriel Burns?
Und gibt es hier im Hörgrusel noch Freunde seiner Kunst, die steif und fest an eine Fortsetzung seiner Serien glauben?
Ich würde mich über Beteiligung und Feedback sehr freuen.