Mir ist aufgefallen, dass, um es mal flapsig zu formulieren, maritim bzw. AllEars jede Menge olle Schinken dem geneigten Hörer wieder zugänglich macht und dies meist als Rückkehr von Klassikern ankündigt. Nun ist mein Wissen zu Hörspielen aus der Zeit der frühen Siebziger bis Achtziger nicht so ausgeprägt wie bei manch anderem hier, aber für mich bleibt da nicht selten der Eindruck der Luftnummer: dass nämlich diese Klassiker nicht viel mehr zum Klassiker macht als die Tatsache, dass sie schlicht alt sind.
Und da habe ich mir gedacht: Das kann doch eigentlich nicht alles sein.
Es kann doch etwas nicht bloß darum als Klassiker gelten, nur weil es über die Jahre eine Patina aus Staub angesetzt hat, sonst wäre ja im Grunde alles früher oder später eine Art Klassiker.
Also habe ich mir mal Gedanken gemacht, was ich höchstpersönlich als Voraussetzung dafür ansähe, damit ich einen Klassiker zum Klassiker machen würde. Und da bin ich auf ein paar Kriterien gekommen, die für mich mit hineinspielen müssen (und die bei maritim meist eben nicht vorliegen):
1. Echte Klassiker haben eine Popularität erlangt, die über die eigene Bubble hinausreicht
Will sagen: Es mag für SciFi-Fans oder für Horror-Fans oder für Fans der Fantasy usw. echte Perlen geben, die unter diesen Eingeweihten als beinahe heiliger Gral gelten - zu einem echten Klassiker werden betreffende Werke aber erst, wenn sie einem breiteren Publikum ein Begriff sind: Psycho etwa kennen nicht bloß Horror- oder Thriller-Fans. Sondern fast jeder kennt diesen Film oder weiß zumindest grob, worum es geht. Oder Alien. Oder Hamlet. Oder Faust. Oder Dorian Gray. Oder Dracula. Oder Frankenstein. Um nur einige sehr prägnante zu nennen.
Und um bei Hörspielen zu bleiben:
Nicht nur Kinder kennen die drei ???. Selbst diejenigen, die es nicht hören, kommen an dem Titel nicht vorbei. Ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Titeln, die als Europa-Klassiker bekannt sind und diesen Titel wohl auch zu recht tragen.
2. Sie sind in gewissem Sinne stilprägend
Das hängt im Grunde mit Punkt 1 zusammen: Sie sind nicht nur in der eigenen kleinen Hörspielgenre-Bubble bekannt, sondern sie sind es darüber hinaus, weil sie für etwas Bestimmtes stehen. Weil sie stilprägend sind oder waren. Die Märchen mit Hans Paetsch haben ein festes Bild erschaffen davon, wie Märchen dargeboten sein sollten - und diesem Ideal wird noch heute gefolgt. Vielleicht haben diese Märchen das Bild des Märchenonkels nicht erschaffen, aber es hat in dieser Konstellation gewissermaßen so etwas wie seinen stilprägenden Charakter gefunden.
Ebenso verhält es sich mit den drei ???. Jede neue Jugend-Detektiv-Reihe muss sich zuallererst an den DDF-Klassiker messen lassen, ob gewollt oder ungewollt. Und eben nicht an den Funk-Füchsen oder Tom & Locke usw.
Grusel-Antholgieserien müssen sich an der Gruselserie von H.G. Francis messen lassen. Vertonungen älterer Stoffe fast unweigerlich an den ersten fünfzig Folgen des Gruselkabinetts, das es, trotz des noch recht jungen Alters, zu so etwas wie einem modernen Klassiker gebracht hat (im Gegensatz zur eigentlich älteren Schwarzen Serie).
Ebenso verhält es sich für John Sinclair, Edition 2000 - die sogar, ohne das einzelne sich dessen vielleicht überhaupt bewusst sind, stilprägend für Hörspielvertonungen allgemein geworden sind durch den Rückgriff auf Elemente der Film-Synchro, nicht zuletzt was Effekte und Sprecher angeht.
3. Klassiker vollenden eine Idee
Ein dritter Punkt, bei dem vielleicht ebenfalls die beiden vorgenannten Punkte mit hineinspielen, ist der der Vollendung: Klassiker scheinen mir oft als Werke zu gelten, in denen verschiedene Versuche, sich einem Thema oder einem Genre zu nähern, zu einer (zumindest vorläufigen) Vollendung gebracht werden. Also: Es mag viele Western geben, aber ein Western-Klassiker zeigt eben am besten auf, was ein Western ist. Das Genre hat quasi in ihm (s)eine Vollendung gefunden. Dieser Zustand kann natürlich immer auch ein vorläufiger sein. Genres und Themen können variiert werden, Sehgewohnheit und Ansprüche ändern sich, ebenso die Perspektiven, so dass dann später ein anderer Ansatz auch zu einem Klassiker werden kann. Aber ich denke, ein Klassiker ist ein solches Werk, das zu seiner Zeit und auch nachwirkend als vollendete Form des jeweiligen Themas/Genres empfunden wird.
Oder, alternativ dazu, schafft er durch seine Einzigartigkeit ganz einfach eine eigene Kategorie, was wohl ebenfalls auf sehr viele künstlerische Werke zutrifft, die sich nicht schlicht einem Genre oder Thema zuordnen lassen.
So mag etwa Der Name der Rose, schlicht betrachtet, ein Mittelalter-Krimi sein. Aber natürlich ist es viel mehr als das. Es ist eigentlich ein beinahe unvergleichliches Werk. Und vielleicht gerade deshalb ein Klassiker, weil es quasi sich selbst bzw. seine eigene Kategorie begründet.
+++
Wie haltet Ihr es?
Empfindet Ihr diesen Begriff auch zu inflationär gebraucht?
Oder seid Ihr selbst sehr großzügig, was die Benutzung dieses Wortes angeht?
Welche Kriterien müssen für Euch erfüllt sein, damit ein Klassiker nicht nur als PR so genannt wird?
Was macht den Hörspiel-Klassiker zu einem Klassiker?
Und was zeichnet einen modernen Hörspiel-Klassiker aus?
Nennt gern auch Beispiele.
Klar dürfte sein: Es gibt nicht die eine allgemeingültige Definition. Jeder mag, zumindest graduell, zu einem anderen Fazit kommen, was dazu gehört, aus welchen Gründen auch immer. Und ich denke, jede Definition wird mit einigen Beispielen, die den jeweiligen Kriterien am Ende dann doch widersprechen, an seine Grenzen geführt werden. Darum sollte die Bearbeitung dieser Fragestellung auch vielmehr als eine Art Annäherung an das Problem aufgefasst werden.
Ich würde mich über einen wie immer gehaltvollen Austausch zum Thema freuen.
Und da habe ich mir gedacht: Das kann doch eigentlich nicht alles sein.
Es kann doch etwas nicht bloß darum als Klassiker gelten, nur weil es über die Jahre eine Patina aus Staub angesetzt hat, sonst wäre ja im Grunde alles früher oder später eine Art Klassiker.
Also habe ich mir mal Gedanken gemacht, was ich höchstpersönlich als Voraussetzung dafür ansähe, damit ich einen Klassiker zum Klassiker machen würde. Und da bin ich auf ein paar Kriterien gekommen, die für mich mit hineinspielen müssen (und die bei maritim meist eben nicht vorliegen):
1. Echte Klassiker haben eine Popularität erlangt, die über die eigene Bubble hinausreicht
Will sagen: Es mag für SciFi-Fans oder für Horror-Fans oder für Fans der Fantasy usw. echte Perlen geben, die unter diesen Eingeweihten als beinahe heiliger Gral gelten - zu einem echten Klassiker werden betreffende Werke aber erst, wenn sie einem breiteren Publikum ein Begriff sind: Psycho etwa kennen nicht bloß Horror- oder Thriller-Fans. Sondern fast jeder kennt diesen Film oder weiß zumindest grob, worum es geht. Oder Alien. Oder Hamlet. Oder Faust. Oder Dorian Gray. Oder Dracula. Oder Frankenstein. Um nur einige sehr prägnante zu nennen.
Und um bei Hörspielen zu bleiben:
Nicht nur Kinder kennen die drei ???. Selbst diejenigen, die es nicht hören, kommen an dem Titel nicht vorbei. Ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Titeln, die als Europa-Klassiker bekannt sind und diesen Titel wohl auch zu recht tragen.
2. Sie sind in gewissem Sinne stilprägend
Das hängt im Grunde mit Punkt 1 zusammen: Sie sind nicht nur in der eigenen kleinen Hörspielgenre-Bubble bekannt, sondern sie sind es darüber hinaus, weil sie für etwas Bestimmtes stehen. Weil sie stilprägend sind oder waren. Die Märchen mit Hans Paetsch haben ein festes Bild erschaffen davon, wie Märchen dargeboten sein sollten - und diesem Ideal wird noch heute gefolgt. Vielleicht haben diese Märchen das Bild des Märchenonkels nicht erschaffen, aber es hat in dieser Konstellation gewissermaßen so etwas wie seinen stilprägenden Charakter gefunden.
Ebenso verhält es sich mit den drei ???. Jede neue Jugend-Detektiv-Reihe muss sich zuallererst an den DDF-Klassiker messen lassen, ob gewollt oder ungewollt. Und eben nicht an den Funk-Füchsen oder Tom & Locke usw.
Grusel-Antholgieserien müssen sich an der Gruselserie von H.G. Francis messen lassen. Vertonungen älterer Stoffe fast unweigerlich an den ersten fünfzig Folgen des Gruselkabinetts, das es, trotz des noch recht jungen Alters, zu so etwas wie einem modernen Klassiker gebracht hat (im Gegensatz zur eigentlich älteren Schwarzen Serie).
Ebenso verhält es sich für John Sinclair, Edition 2000 - die sogar, ohne das einzelne sich dessen vielleicht überhaupt bewusst sind, stilprägend für Hörspielvertonungen allgemein geworden sind durch den Rückgriff auf Elemente der Film-Synchro, nicht zuletzt was Effekte und Sprecher angeht.
3. Klassiker vollenden eine Idee
Ein dritter Punkt, bei dem vielleicht ebenfalls die beiden vorgenannten Punkte mit hineinspielen, ist der der Vollendung: Klassiker scheinen mir oft als Werke zu gelten, in denen verschiedene Versuche, sich einem Thema oder einem Genre zu nähern, zu einer (zumindest vorläufigen) Vollendung gebracht werden. Also: Es mag viele Western geben, aber ein Western-Klassiker zeigt eben am besten auf, was ein Western ist. Das Genre hat quasi in ihm (s)eine Vollendung gefunden. Dieser Zustand kann natürlich immer auch ein vorläufiger sein. Genres und Themen können variiert werden, Sehgewohnheit und Ansprüche ändern sich, ebenso die Perspektiven, so dass dann später ein anderer Ansatz auch zu einem Klassiker werden kann. Aber ich denke, ein Klassiker ist ein solches Werk, das zu seiner Zeit und auch nachwirkend als vollendete Form des jeweiligen Themas/Genres empfunden wird.
Oder, alternativ dazu, schafft er durch seine Einzigartigkeit ganz einfach eine eigene Kategorie, was wohl ebenfalls auf sehr viele künstlerische Werke zutrifft, die sich nicht schlicht einem Genre oder Thema zuordnen lassen.
So mag etwa Der Name der Rose, schlicht betrachtet, ein Mittelalter-Krimi sein. Aber natürlich ist es viel mehr als das. Es ist eigentlich ein beinahe unvergleichliches Werk. Und vielleicht gerade deshalb ein Klassiker, weil es quasi sich selbst bzw. seine eigene Kategorie begründet.
+++
Wie haltet Ihr es?
Empfindet Ihr diesen Begriff auch zu inflationär gebraucht?
Oder seid Ihr selbst sehr großzügig, was die Benutzung dieses Wortes angeht?
Welche Kriterien müssen für Euch erfüllt sein, damit ein Klassiker nicht nur als PR so genannt wird?
Was macht den Hörspiel-Klassiker zu einem Klassiker?
Und was zeichnet einen modernen Hörspiel-Klassiker aus?
Nennt gern auch Beispiele.
Klar dürfte sein: Es gibt nicht die eine allgemeingültige Definition. Jeder mag, zumindest graduell, zu einem anderen Fazit kommen, was dazu gehört, aus welchen Gründen auch immer. Und ich denke, jede Definition wird mit einigen Beispielen, die den jeweiligen Kriterien am Ende dann doch widersprechen, an seine Grenzen geführt werden. Darum sollte die Bearbeitung dieser Fragestellung auch vielmehr als eine Art Annäherung an das Problem aufgefasst werden.
Ich würde mich über einen wie immer gehaltvollen Austausch zum Thema freuen.