Gruselkabinett - 166 - Bisclavret

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    • Gruselkabinett - 166 - Bisclavret

      Gruselkabinett – 166. Bisclavret



      Catherine de Bisclavret ist ihrem Mann, dem Ritter Eric de Bisclavret, treu ergeben und liebt ihn innig, ist jedoch verwundert, dass dieser jeden Monat für drei Tage aus der Burg verschwindet. Gemeinsam mit ihrer Kammerfrau Ages will sie unbedingt hinter sein Geheimnis kommen und zwingt ihn schließlich, ihr die Wahrheit zu sagen. Doch diese ist schrecklicher, als sie gedacht hätte: Unter dem Einfluss des Vollmonds verwandelt sich Eric in einen Werwolf – und das ist mehr, als Catherine ertragen kann…

      Auch wenn das viktorianische Zeitalter in London sicherlich immer noch eine große Inspirationsquelle für das „Gruselkabinett“ von Titania Medien ist, spielt die Reihe mit (meist) klassischen Gruselgeschichten mittlerweile in allen Teilen der Welt. Und so spielt die 166. Episode der Reihe nicht nur im westlichen Frankreich, sondern auch zu einer anderen Zeit als gewohnt: Angesiedelt im Mittelalter kommt noch einmal eine ganz andere Stimmung auf, so wirkt auch die Sprache eigentümlicher, ist aber wieder sehr klangvoll geraten und ist trotz allem leicht zugänglich – mal wieder eine sehr gelungene Bearbeitung der Vorlage von Marie de France. Schnell wird der Hörer in einem atmosphärischen Erzähltext auf das Werwolf-Thema der Episode eingestimmt, auch die nachfolgende Handlung nimmt schnell an Fahrt auf. Sie beginnt mit der Ehe der Bisclavrets und den aufgedeckten Geheimnissen, nimmt ihren Lauf mit einer bitteren Intrige und führt dann noch über unerwartete Wege, die ich zu Beginn so nicht erwartet hätte. Dabei sind übernatürliche ebenso wie äußerst irdische Elemente eingebunden, Rittertum und Königshäuser sorgen für eine markante Szenerie. Stellenweise mutet die Geschichte deswegen fast wie ein Märchen an und verläuft dann eher ruhig, ist aber immer unterhaltsam. Ungewöhnlich ist dann auch das Ende, das einige tragische Wendungen enthält und sehr überzeugend geraten ist. Mich freut sehr, dass hier noch einmal eine ganz andere Facette des Gruselgenres präsentiert wird, zumal dies so überzeugend und hörenswert geraten ist.

      Die Sprecher der Episode sind erneut nicht nur hervorragend ausgewählt, sondern passen sich auch sehr gut an die mittelalterliche Atmosphäre an – allen voran Antje von der Ahe als Catherine de Bisclavret, die eine sehr komplexe Figur erschafft und der Burgherrin viel Tiefe verleiht, die innige Liebe wie kalte Intrige oder heiße Leidenschaft gleichermaßen glaubhaft darstellt. Ihr Mann Eric wird von Jean Paul Baeck gesprochen, der seine Szenen lebendig und ausdrucksstark spricht, die mittelalterliche Szenerie dennoch lebendig und glaubwürdig präsentiert und später noch eine ganz andere, unheimliche Facette präsentiert. Sehr gefallen hat mir auch Sabine Trooger als durchtriebene Kammerfrau Agnes, die sehr pointiert spricht und sich gekonnt den verschiedenen Stimmungen anpasst. Weitere Sprecher sind Rolf Berg, Christian Stark und Peter Weis, der mal wieder als Erzähler zu hören ist.

      Das neue Setting des Hörspiels führt auch zu einer anderen Klangkulisse, so sind einige Dialoge beispielsweise mit dem Pfeifen des Windes in der Burg unterlegt, aber auch die unheimlichen Geräusche des Waldes kommen gut zur Geltung und verstärken den dunklen Flair der Episode. Die Musik ist allerdings wieder gewohnt atmosphärisch und betont die Düsternis der Handlung, betont die besonders spannenden Stellen oder sorgt für zusätzliche Dynamik.

      Dass Werwölfe das Thema des Hörspiels ist, wird schon auf dem Titelbild klar, als ein zähnefletschender Wolf mit eindeutig menschlichen Attributen düster beleuchtet dem Betrachter entgegenblickt. Der Hintergrund ergänzt dies gut mit einem angedeuteten nächtlichen Wald und der Burg der Bisclavrets, was wieder gelungen zusammengestellt ist. Der Raum hinter der CD wurde wieder genutzt, um auf vier weitere Episoden des Gruselkabinetts mit ähnlichem Thema hinzuweisen.

      Fazit: Der Sprung ins mittelalterliche Frankreich ist sehr stimmungsvoll geraten und beschwört eine ganz andere Epoche als gewohnt herauf, was mich schnell fasziniert hat. Doch auch die Handlung ist wendungsreich und sehr überzeugend geraten, besonders die zweite Hälfte birgt einige Überraschungen. Sehr gut gefällt mir auch die Verwendung der Sprache, die zwar das Flair der Zeit heraufbeschwört, aber dennoch zugänglich und leicht verständlich ist.

      VÖ: 21. Dezember 2020
      Label: Titania Medien
      Bestellnummer: 9783785781937
      :besserwisser:
    • Ein rundum gelungenes Hörspiel. Die Sprecher, die Geräuschkulisse… alles 1A. Außerdem hat man längere Dialoge vermieden, was ja nicht immer der Fall war bei einigen der letzten Folgen. Ein gelungener Abschluss des Jahres 2020.

      Dennoch wünsche ich mir wieder mal eine Folge mit noch mehr Horror-Einschlag und Gänsehaut-Momenten. Ich bin gespannt auf „Das tote Brügge“ im Februar.
    • Ich kann mich dem positiven Fazit meiner Vorredner nur anschließen: Endlich mal wieder eine Folge, die handwerklich einwandfrei umgesetzt wurde - was ich in erster Linie auf das Skript bezogen verstanden wissen möchte, denn die Inszenierung an sich ist ja bei Titania immer auf höchstem Niveau.

      Ich kann zwar die Tiefe der Figuren, von der @DerPoldi schreibt, für mich nicht erkennen, aber da der Erzähler gleich zu Beginn die Geschichte als "Mär" einordnet, geht das völlig in Ordnung; da steht anderes im Vordergrund und nicht die Psychologie der Figuren im Detail. Sonst hätte man nämlich einwenden können, dass der Umschwung der Gattin ihrem Mann gegenüber etwas sehr schnell vonstattenging, aber wie gesagt: diese Geschichte setzt einen anderen Schwerpunkt, und wenn man das akzeptieren kann, lässt man sich auf eine sehr einnehmende und kurzweilig geschildette Geschichte ein.

      Sehr schön finde ich, dass die meisten Fehler der Vergangenheit hier nicht gemacht wurden: Die Erzähltexte sind sparsam eingesetzt, die Dialoge entwickeln eine eigene Dynamik, folgen diesmal einer Dramaturgie, anstatt bloß lange Buchseiten der Vorlage zu transportieren, die Geschichte wird szenisch und insofern sehr lebendig erzählt, es gibt immer wieder Perspektiv- und Standortwechsel, was das Ganze spannender macht, und der Kern der Geschichte zeichnet sich durch das aus, was das Gruselkabinett seinerzeit groß gemacht hat: das Drama von Menschen, die ins Unglück stürzen, während die doch eigentlich ihr Schicksal beim Schopfe packen wollen.

      Noch dazu präsentiert man uns am Ende im Grunde so etwas wie eine Liebesgeschichte, die sich glücklich erfüllt.

      Die Sprecherinnen und Sprecher sind wirklich außerordentlich gut gewählt, auch wenn ich nun nichg unbedingt schon wieder den beinahe unvermeidlichen Peter Weis gebraucht hätte. Aber das ist ja such immer eine Geschmacksfrage. Rein technisch ist ihm kein Vorwurf zu machen.

      Alles in allem die rundum gelungene Umsetzung eines Märchens für Erwachsene, lebendig erzählt, dabei düster und unheilschwanger. Macht Freude. Wenn es nicht zu Höchstpunktzahl reicht, dann nur weil die Geschichte im Hinblick auf Tiefe und Eindringlichkeit für mein Empfinden denn doch nicht an die ganz großen Meisterwerke der Reihe heranreicht.

      So wie mit dieser Folge kann es gern dauerhaft weitergehen!


      :st: :st: :st: :st: :st3:

    • Mein Eindruck ist, dass es besser geworden ist, seitdem man eine feste Mitarbeiterin für das Thema Lektorat hat. Die Skripte scheinen mir seitdem etwas straffer zu sein. Obwohl man es natürlich zu Beginn damals auch alleine bravourös geschafft hatte.
    • Jonny schrieb:

      Mein Eindruck ist, dass es besser geworden ist, seitdem man eine feste Mitarbeiterin für das Thema Lektorat hat.

      Ach, ist das so?
      Das wusste ich noch gar nicht. Danke für den Hinweis. :)
      Ja, eine kundige Lektorin, die vor allem auch etwas von Dramaturgie versteht, ist/wäre in der Tat eine gute Idee.
    • Habe es vorhin auch gehört und konnte mich auch recht gut unterhalten. Schöne Mittelalter-Sage, die viel mit moralischen Motiven rund um Güte, Verrat, etc. spielt und das recht gelungen mit der Werwolf-Geschichte verknüpft. Das Ganze ist durchaus abwechslungsreich erzählt, bleibt dabei aber dem typischen Stil der Serie treu. Einzig die Sprache wirkt teils etwas altertümlicher als man es sonst gewohnt ist, besonders bei den Erzählerparts. Hat aber gut gepasst und war auch keineswegs so, dass die Erzählung deswegen schwerer zugänglich geworden wäre. Da hat man eine gute Balance gefunden.
      Zwar für mich kein Highlight innerhalb der Serie - was angesichts des Niveaus jener auch sehr schwierig ist -, aber doch eine gute Folge, die Spaß gemacht hat.
    • Hardenberg schrieb:

      Jonny schrieb:

      Mein Eindruck ist, dass es besser geworden ist, seitdem man eine feste Mitarbeiterin für das Thema Lektorat hat.
      Ach, ist das so?
      Das wusste ich noch gar nicht. Danke für den Hinweis. :)
      Ja, eine kundige Lektorin, die vor allem auch etwas von Dramaturgie versteht, ist/wäre in der Tat eine gute Idee.
      Hatte es auch nur zufällig mal gesehen und zwar hier:

      titania-medien.de/cms/crew.html

      Seit 2020 fest dabei und das ist auch ungefähr der Zeitpunkt wo die Folgen wieder mehr zu gefallen wussten :]
    • Ah, danke für die Erläuterung. @Jonny :hutheb:

      Ja, mag was dran sein, obwohl ich denke, dass das Skript dann grundsätzlich schon in die richtige Richtung gehen muss, um von kundiger Seite veredelt werden zu können. Wenn von vornherein schon alles "verloren" ist, weiß ich nicht, ob sie als quasi angestellte Lektorin da entsprechend deutliche Worte finden würde. Ist halt schon etwas anderes im Vergleich zu einem externen Lektorat, das zudem über Entscheidungskompetenz verfügt.

      Aber egal, auf jeden Fall eine gute Entscheidung von Titania, die hoffentlich dafür spricht, dass es in gewissen Dingen ein Umdenken gegeben hat.

      Grundsätzlich schlummert ja da in Hilden eine Menge Potential. Es muss nur halt auch geborgen werden. :)
    • Hab ich dann jetzt auch komplett durch und: Bin entzückt. Das hat mir wirklich gut gefallen. Ich spreche nicht von einem Oberknaller, aber die gehört für mich zu den besten Folgen der letzten 2 Jahre. Schön straight erzählt, tolle Musik und einfach kurzweilig. Danke, Titania :)


    • Gruselkabinett - 166 - Bisclavret

      Zum Inhalt:
      Das Glück des rechtschaffenen Ritters Eric de Bisclavret scheint vollkommen, denn er und seine Frau Catherine lieben sich heiß und innig. Lediglich die merkwürdige Angewohnheit des Edelmannes, jeden Monat für drei Tage zu verschwinden, erregt den Unmut seiner Gattin. Als sie es schließlich vor Neugier nicht mehr aushält, setzt sie Eric emotional so lange unter Druck, bis er ihr sein furchtbares Geheimnis offenbart: Er ist dazu verdammt, sich bei jedem Vollmond in einen Werwolf zu verwandeln. Angewidert wendet sich Catherine daraufhin von ihm ab und sorgt mit einem Trick dafür, daß er nicht wieder seine menschliche Gestalt annehmen kann. Ein Jahr später lässt sie ihren vermeintlich verschwundenen Ehemann für tot erklären und beginnt mit einem früheren Verehrer ein neues Leben. Doch der Werwolf durchstreift nach wie vor die Wälder...


      Zur Produktion:
      Der dem Hörspiel zu Grunde liegende Mythos der "Lykanthropie", also die Fähigkeit eines Menschen, sich in einen Wolf zu verwandeln, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Ein deutliches Zeugnis dafür sind die Zwitterwesen, die sich bereits in Höhlenmalereien finden. Erste schriftliche Verweise stammen aus dem "Gilgamesch-Epos" in dem die Göttin "Ištar" einen Schäfer in einen Wolf verwandelt. Auch im alten Rom gab es dazu Geschichten. Die Älteste ist aus der Zeit Neros und stammt von dem Römer Gaius Petronius Arbiter (27-66), auch bekannt als Titus Petronius Niger, dem vermutlichen Autor des "Satyricon". Er erzählt in seiner Geschichte "Gastmahl des Trimalchio" von einem Mann, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt. Im Mittelalter erlebte der Werwolfmythos dann eine Renaissance, und es erschienen mindestens zwei bis heute erhaltene Werke zu diesem Sujet. Die zwischen 1209-1214 von Gervasius von Tilbury (ca. 1150 - ca. 1235) für Kaiser Otto IV. geschriebene Weltgeschichte und Weltbeschreibung "Otia imperialia" (übersetzt: „Kaiserliche Mußestunden“), in der ein Ritter namens "Raimbaud de Pouget" enterbt wird und während einer nächtlichen Wanderung im Wald aus Furcht den Verstand verliert, was bereits ausreicht, ihn zum Werwolf werden zu lassen. Um die Wahrhaftigkeit seiner Geschicht zu unterstreichen, folgt direkt eine zweite, in der ein anderer Protagonist ("Chaucevaire") nachts seine Kleidung ablegt, versteckt und sich dann ebenfalls in einen Werwolf verwandelt. Interessanterweise finden sich einige dieser Elemente (ein Ritter, der zum Werwolf wird sowie das Ablegen und Verstecken der Kleidung) bereits in Marie de France (1135-1200) Gedicht "Bisclavret" (bretonisch für "Werwolf" und interessanterweise gleichzeitig der Nachname des Hauptdarstellers) aus der Sammlung "Lais de Marie de France". Der Gedichtband entstand um 1170 und war in anglonormannischer Sprache verfasst, wobei de France behauptete, sie habe das Gedicht erst aus dem Bretonischen übersetzen müssen. Im Jahr 1911 schrieb der englischsprachige Schriftsteller Eugene Mason (1862–1935) das Gedicht in Prosaform um, und es dürfte auch diese Fassung sein, welche Skriptautor Marc Gruppe als Ausgangsmaterial für sein Hörspielskript gedient hat, denn eine deutsche Veröffentlichung hat es meines Wissens nach bisher nicht gegeben. Übrigens ist Mason dabei ein Fehler unterlaufen, denn bei ihm heißt es "Bisclavaret", statt richtigerweise, so wie auch im Hörspiel, "Bisclavret".
      Dies ist natürlich nicht das erste Titania Hörspiel, das sich mit Werwölfen beschäftigt (siehe u.a Gruselkabinett 20 - Der Werwolf, 49 - Der weiße Wolf & 107 - Der weiße Wolf von Kostopchin), aber es dürfte dasjenige mit der bisher ältesten schriftlichen Vorlage sein.
      Obwohl Skriptautor Marc Gruppe die eigentliche Struktur und den Ablauf der Handlung nicht verändert, gibt es doch einige bemerkenswerte Unterschiede zu Marie de Frances Version.
      Um den Hörer gleich in den Bann zu ziehen, eröffnet Gruppe das Hörspiel mit der Verwandlung Erics in einen Werwolf. Angenehmerweise verzichtet er dabei auf den Erzähler bzw. eine Beschreibung des Ereignisses, so daß sich jeder Hörer ein eigenes Bild davon machen kann, wie die Metamorphose abläuft. Diese Sequenz und auch die nachfolgende Eröffnung der Handlung durch den Erzähler, ist ebenso neu hinzugekommen, wie der Großteil der Dialoge. So gibt es nur hier die diversen Gespräche zwischen der Kammerfrau "Agnes" und ihrer Herrin "Catherine". Die Einführung der Figur der Zofe dient zunächst einmal dazu, Informationen, statt im Monolog, als Dialog zu präsentieren. Darüber hinaus schafft Gruppe mit ihr sozusagen eine Mittäterin, denn sie ist es, die "Catherine" nicht nur verbal unterstützt, sondern ihr auch aktiv zur Seite steht. Beispielsweise bietet sie ihrer Herrin diverse Tränke an, vom Schlafmittel bis hin zum Gift, und es ist sie, nicht, wie in der Originalgeschichte, "Catherine" selbst, die auf die Idee kommt, den ehemaligen Verehrer zu reaktivieren. Eine weitere, ebenfalls neu hinzugefügte Figur ist der "Abbé". Ein Charakter, der sich, auf Grund der ihm von Gruppe zugeordneten Texte (im Original werden diese von einem nicht näher beschriebenen "Berater" gesprochen), so natürlich in die Handlung einfügt, daß man kaum glauben kann, daß er nicht auch bei de France vorkommt. Gleiches gilt für die Mutter des Königs und den Folterknecht, welche aber in Bezug auf die Handlung nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
      Auch die zeitliche Verortung in das Jahr 1170 (entspricht dem Entstehungsjahr des Gedichtbandes) und sämtliche Namen der Lokalitäten bzw. Protagonisten stammen aus der Feder von Marc Gruppe. Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, auf wirklich alle Unterschiede zur literarischen Vorlage einzugehen, aber drei davon muss ich noch kurz ansprechen. Einmal sind dies heiße Liebesszenen, die allerdings so inszeniert worden sind, daß sie jederzeit jugendfrei bleiben. Das bedeutet aber nicht, daß sie damit an erotischer Wirkung verlieren, denn die Sprecher spielen diese Sequenzen mit eindringlicher Leidenschaft, die beinahe ohne jegliche Worte auskommt. Daß die Geschichte trotz der betagten Vorlage ziemlich modern wirkt, liegt nicht zuletzt an Gruppes Darstellung des Werwolfs, welcher hier zur Abwechslung mal keine tumbe, blutrünstige Bestie ist, sondern ein innerlich wie äußerlich verletzbares Wesen, das sich, im Gegensatz zu de Frances Version, auch noch artikulieren kann. Gerade Letzteres gibt dem Hörspiel allerdings eher den Anstrich eines Märchens, statt einer Gruselgeschichte, zumal der Skriptautor dem Werwolf Sätze in den Mund legt, die erkennen lassen, daß er die Menschen und ihre Absichten bzw. Schwächen durchschaut. Eine den Tieren sehr häufig auch in Fabeln und Märchen zugesprochene Eigenschaft.
      Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich den von Marc Gruppe leicht veränderten und erweiterten Schluß des Hörspiels, zu dem ich inhaltlich jedoch noch nichts verraten werde. Doch so viel sei gesagt: Nur im Hörspiel begleitet man Werwolf und König wirklich bis ans Ende.
      Wer nun Lust bekommen hat, das für mein Empfinden kurzweilige, ca. 71 Minuten umfassende Hörspiel mit der englischsprachigen Version von Mason zu vergleichen, findet diese im Internet unter en.wikisource.org/wiki/Lays_of…/The_Lay_of_the_Were-Wolf.
      Im besten Sinne des Wortes ist auch die Umsetzung, also die Produktion von Stephan Bosenius und Marc Gruppe, märchenhaft ausgefallen. Jede einzelne Szene wird mit einer üppigen "Kulisse" aus Geräuschen und Musik liebevoll zum Leben erweckt. In der Eröffnungsszene im Wald beispielsweise rascheln die Blätter der Bäume im Wind, nachtaktive Vögel sind zu hören, und ein Pferd kommt mit klirrendem Zaumzeug herangaloppiert, um mit lautem Wiehern, quasi vor dem Hörer, zu scheuen. Dazu erklingt im Hintergund leise eine Melodie, die zwischen melancholisch und dramatisch alterniert, und schon ist man in die ganz eigene Klangwelt von Titania eingetaucht. Ich bin immer wieder begeistert von der ungeheuren Vielfalt der eingespielten Geräusche. Kein Türquietschen klingt gleich, und so bemerkt man durchaus am akustischen Unterschied, ob es sich um die eines Gasthauses oder die innerhalb des Schlosses handelt.
      Bei der Musik kommen im Verlauf des Hörspiels so unterschiedliche Instrumente wie Geige, Klavier, Gitarre, Trompete, Synthesizer und Orgel zum Einsatz, aber auch ein Choral. Besonders gut gefallen haben mir die mittelalterlich klingende Melodie während des Festes und die teilweise schon episch wirkende Weise gegen Ende des Hörspiels.
      Wie gewohnt dienen die Effekte nur dazu, das Geschehen realer bzw. plastischer darzustellen. So sind beispielsweise die Stimmen der Sprecher innerhalb des Schlosses mit leichtem Hall unterlegt, der Deckenhöhe und Ausmaß des jeweiligen Raumes adäquat abbildet. Um die Weitläufigkeit des gesamten Gebäudes zu zeigen, wird kräftig heulender Wind eingespielt. Sehr gelungen finde ich auch die leichte Verfremdung der Stimme des Werwolfs, um den Sprecher "tierhafter" wirken zu lassen.

      Zu den Sprechern:
      Peter Weis(Erzähler) ist eine sehr gute Wahl für diesen Part. Seine Betonung ist punktgenau und die leicht angeraute Stimme unterstreicht den märchenhaften Charakter des Hörspiels noch zusätzlich. Jean Paul Baeck(Eric de Bisclavret) spielt die Rolle des aufrechten Edelmannes nicht nur, er lebt sie geradezu. Egal ob er in lustvoller Umarmung mit Catherine mehr keucht als spricht oder in Wolfsgestalt seine Sätze quasi knurrt, dank seines engagierten Spiels bleibt die Sympathie des Hörers auch dann noch bei ihm, wenn er für das ihm angetane Unrecht Rache an seinen Peinigern übt. Ähnlich intensiv ist auch die Darbietung von Antje von der Ahe(Catherine de Bisclavret) als seine Ehefrau. Es ist schon genial, wie sie innerhalb weniger Szenen von der leidenschaftlich verliebten Ehefrau zur regelrechten Furie mutiert. Auf Grund ihrer überzeugenden Interpretation der Figur, hat man dann auch wenig Mitleid mit ihr, selbst wenn ihr späteres Wimmern, Weinen und Schreien den Hörer durchaus mitnehmen kann. Eine für mich überraschende Entwicklung macht auch Sabine Trooger(Kammerfrau Agnes) als "Catherines" Zofe durch. Zunächst hatte ich den Eindruck, bei ihr handele es sich lediglich um eine besorgte, hilfsbereite Dienerin, doch es stellte sich bald heraus, daß sie in Wahrheit, bei aller Treue gegenüber ihrer Gebieterin, eine skrupellose Intrigantin ist. Rolf Berg(Florent de Honfleur) ist klasse im Part des freundlichen, aber naiven Edelmannes, der für seine Angebetete alles tun würde.
      Gleiches gilt auch für Sascha von Zambelly(Julian, ein Freund des Königs) als Vasall des Herrschers, der dem Verhältnis zwischen dem Regenten und der Bestie mit Argwohn begegnet. Doch von allen Nebenrollen hat mir der kurze, prägnante Auftritt von Marc Gruppe(Folterknecht) in der Rolle des in seiner Arbeit aufgehenden, sadistisch veranlagten Peinigers gefallen. Trotz der Ernsthaftigkeit der Situation, musste ich doch lächeln, als er mit merkbarem Bedauern seine Tätigkeit einstellt.
      Die verbleibenden drei Sprecher, die in der Vergangenheit für das Label Europa tätig waren, möchte ich besonders herausstellen, da ich mit deren Stimmen aufgewachsen bin. Da wäre zunächst Ursula Sieg(Mutter des Königs) zu nennen, die mich schon 1978 mit ihrer Verkörperung des von "Heidi" und mir gleichermaßen gehassten "Frl. Rottenmeier" überzeugen konnte. Hier spielt sie die mit ihrem Sprößling unzufriedene, überaus besorgte Mutter von König Charles. Etwas später, Mitte der 1980er Jahre, lernte ich dann auch Christian Stark(Charles, König von Frankreich) als Sprecher kennen, der mich mit seiner Darstellung des "Tschang" in den "Tim und Struppi"-Hörspielen begeistern konnte. Ich finde, seine Stimme hat sich in der ganzen Zeit wenig verändert, und er klingt hier noch fast genauso jugendlich wie damals. Er liefert ein stimmiges Portrait des freundlichen Monarchen, der dem Werwolf völlig vertraut, seine Beziehung zu ihm gegenüber allen anderen verteidigt und fast zugrundegeht, als sich die Bestie von ihm fernhält.
      Einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen hat jedoch Bernd Kreibich(Abbé), der in meinem Lieblingshörspiel "Invasion der Puppen" den Part des "Rore Kalmat" intonierte. Eine Darbietung, die mir für den Rest meiner Tage im Gedächtnis bleiben wird. Auch in diesem Hörspiel kann er mich mit seiner tadellosen Performance als älterer Geistlicher, der als Einziger den Werwolf durchschaut und versteht, begeistern. Auch wenn er einerseits ernst und getragenen spricht, so ist doch andererseits auch immer ein warmer, gütiger Unterton in seiner Stimme zu hören.

      Fazit:
      Ungewöhnliche Werwolfgeschichte, die an ein Märchen erinnert und fast ebenso gut in die Reihe "Titania Special" gepasst hätte.

      Das Hörspiel Gruselkabinett - 166 - Bisclavret
      gibt es bei
      Amazon.de
      oder bei
      POP.de


      OTR-Fan
    • So, nachdem ich die Folge heute endlich mal komplett durchgehört habe, kann ich mich dem knappen, aber präzisen Urteil von Jonny nur anschließen.

      Jonny schrieb:

      Das hat mir wirklich gut gefallen. Ich spreche nicht von einem Oberknaller, aber die gehört für mich zu den besten Folgen der letzten 2 Jahre. Schön straight erzählt, tolle Musik und einfach kurzweilig.
      Eine, wie auch @MonsterAsyl schon in seinem Fazit schreibt, eher märchenhafte Geschichte, in der die Guten unter den Bösen zunächst zu leiden haben, Letztere schließlich aber doch ihre Strafe erhalten und alles harmonisch endet.
      Wobei sich die negativen und die positiven Charaktere sehr schön die Waage halten.
      Die Werwolf-Thematik selbst ist zwar schon oft im Hörspiel da gewesen, aber die Umsetzung mit dem sprechenden Werwolfmenschen - absolut perfekt verkörpert von Jean Paul Baeck :thumbup: - bringt trotzdem genügend neue Ausrichtung, um den Hörer zu unterhalten.
      Hier steht außerdem endlich mal wieder die Handlung im Vordergrung, nicht irgendwelche Dia- oder Monologe, wie sonst leider häufig der Fall.