[hr1] Der zweite Schlaf

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen zum Thema Cookies finden Sie hier und in unserer Datenschutzerklärung

    • GrimReaper schrieb:

      Leonhard Koppelmann schrieb:

      Es war meine Entscheidung hier einmal eine Besetzung zu versuchen, die die Geschlechtergrenzen ignoriert. Auf dem Theater ist diese Konvention schon lange aufgehoben, während das in Hörspiel und Film sehr schwierig ist. Die gesellschaftliche Diskussion um eine höhere Parität zwischen den Geschlechtern herzustellen, möchte ich nicht weiter ignorieren und mehr versuchen, wenn man beide Geschlechter besetzen könnte, mich häufiger für Frauen zu entscheiden. Ich habe das jetzt auch ganz bewußt in einer "Blockbuster"-Produktion (oder dem was wir dafür ansehen) gemacht, weil es hier am ehesten ein Aha erzeugt (im Guten, wie im Schlechten – denn ich lerne ja auch erst noch, was (künstlerisch) zumutbar ist und was einfach mehr Fragen aufwirft, als den Geschichten zumutbar ist. Und zu allererst, will ich natürlich ein gutes Hörspiel machen und nicht nur ein gut gemeintes. Im Gegensatz zum Buch, sind auch viele Wissenschaftler*innen und Politiker*innen statt wie bei Harris mit Frauen besetzt (hier haben wir allerdings die Rollennamen angepasst und damit fällt das nicht weiter auf, weil Premierministerinnen zum Glück ja schon zum Alltag gehören).
      Das ist für mich nur bedingt ein Argument. Natürlich gibt es Hosenrollen im Theater seit ein paar 100 Jahren, aber die sind dann ja nicht völlig wahllos eingestreut, sondern folgen einem dramaturgischen oder äthetischen Sinn. In diesem Fall kann ich aber keinen erkennen, das ist aus Hörersicht völlig wahl- und grundlos geschehen. Und die Rollen des Duos Shadwell und Quyke gleichermaßen von Frauen sprechen zu lassen, das erweckt ja beim Hörer über Stunden hinweg die Erwartungshaltung, dass hier noch ein dramaturgischer Kniff kommen muss. Was dann am Ende der Conclusio "Weiß er wohl selber nicht mehr, warum er das gemacht hat", führt. Gerade bei einem Stück, bei dem man ohnehin das Gefühl hat, dass der Autor am Ende nicht mehr weiß, womit er angefagen hat.
      Klar, wenn der Harris alles stark überwiegend mit Männern bestückt hat, von den Politikern bis zu den Wissenschaftlern und Kirchenfürsten, dann ist es sicherlich sinnvoll, wenn man da etwas gegensteuert, dann aber nicht die Namen anzupassen, da erschließt sich mir der Sinn nicht und es nervt einfach beim Hören. Wobei, wenn man das schon so machen will, dann wäre es beim Bischof und dem Adlatus origineller gewesen, da hätte man sich noch etwas zusammenreimen können mit der extrem patriarchalischen Kirche an deren Spitze dann aber eine Frau steht.

      Eine bessere Maßnahme wäre es aus meiner Sicht gewesen, die abgeschmackte und klischeebeladene Liebesgeschichte komplett rauszuwerfen. Die "rothaarige Lady mit Alabasterhaut", die den in Liebesdingen naiven Pfarrer verführt, das braucht in 2020 wirklich niemand mehr. Auch wenn dergleichen vor 35 Jahren im Film mit Christian Slater und Valentina Vargas absolut überragend filmisch umgesetzt wurde. Aber hier sind wir leider eher bei einem Genre, mit dem Sie bestimmt nichts zu tun haben wollen.

      Ähnlich ist es mit dem Nervfaktor bei der guten Frau Professor. Wenn Sie keinen deutschen Namen in einem Hörspiel, welches in England spielt haben wollen, warum ändern Sie dann den Namen Morgenstern nicht einfach? Es ist für mich als Hörer wirklich mühsam, die Sprecher sich durch "Morgänstörn", Morgänstärn" "Mörgenstern" sich die Zunge brechen zu hören. Hat für mich auch immer etwas unangenehm oberlehrerhaftes, wenn man einem unter die Nase reiben will, dass das aber ausländisch ganz anders ausgesprochen werden muss. Und besonders skurril wird es bei einem Namen, den vermutlich eh keine zwei Engländer gleich aussprechen würden/könnten. Noch besser ist das, wenn zwar bei englischen Namen penibelst darauf geachtet wird, dass die ja nicht deutsch klingen, aber im selben Stück bei spanischen oder chinesischen das komplett ignoriert wird.

      Leonhard Koppelmann schrieb:

      Der Titel wird gegen Ende des ersten Teils kurz erklärt
      Ja, die Stelle gibt es schon. Aber das ist eine extrem dünne Erklärung für den Titel, klar, das ist nicht Ihre Baustelle.
      Ganz allgemein bleibt halt für mich das ungute Gefühl, dass dieses Buch eventuell nicht ganz die literarische Qualität für solch eine aufwändige Premiumproduktion hatte. Bzw. die Bearbeitung hier viel stärker eingreifen hätte müssen. Was aber wahrscheinlich dann rechtlich wieder problematisch ist.
      Lieber GrimReaper,

      da war mein Hinweis auf die Hosenrollen ein bisschen irreführend… ich wollte sagen, das Geschlechteridentitäten auf dem Theater immer weniger hinterfragt werden, also es in einem Stück zunehmend unwichtig ist, ob z.B. "König Lear", der im Stück eindeutig eine männliche Rolle ist, von einem Mann oder einer Frau gespielt wird. Bei Film und Hörspiel ist das deutlich heikler, weil unsere Settings "realistischer" und weniger allegorisch sind. Trotzdem – dahin geht zur Zeit meine Überlegung – können wir bestimmte Rollen in einem Stück ohne Änderung der Geschlechtsbenennung auf das jeweils andere Geschlecht übertragen – wobei im Moment nur eine Richtung wirklich zwingend ist: ein paar Männerrollen für Frauen zugänglich zu machen, da in jedem Stück etwa 2/3 Männerrollen vorkommen und nur 1/3 Frauenrollen, häufig ist das Verhältnis noch schlechter… Ich sehe ein, dass das eine heftige Forderung und sogar Überforderung für die Hörer sein kann, aber es hilft vielleicht irgendwann auch damit selbstverständlicher umzugehen und die Rollen aus sich heraus zu verstehen… die Literatur ändert sich leider hier langsamer als die Gesellschaft und solange selbst Autorinnen immer noch mehr Männerollen als Frauenrollen schreiben, werden wir noch ein bisschen an dem Bewusstsein für Gleichwertigkeit und Repräsentanz arbeiten müssen…

      Ja, die Liebesgeschichte ist für meinen Geschmack auch out-dated, aber die Bearbeitung von Heinz Sommer war eng mit Harris abgestimmt und lies ein anderes Einwirken nicht mehr zu. Ich hätte ihr gerne einen stärkeren Twist verpasst und die Figur der Sarah gerne ambivalenter gestaltet, das man bei ihrer Verführungsszene immer noch denken könnte, es wäre eine Botin des Teufels, die den Helden vom Weg abbringt… hätte die Figur dafür aber von Anfang im Text anders anlegen müssen…

      Ja, und das Ausspracheding, manchmal wünschte ich, ich würde im englischsprachigen Raum oder im französischen oder im spanischen oder sonst wo produzieren, dort gibt man den Aussprachen nicht so viel Gewicht… leider sind die meisten Schauspielkolleg*innen noch dazu überfordert mit bestimmten Aussprachen… in einem Fall geht es mit Englisch gut, im anderen mit Russisch, aber bei Französisch scheitern dann fast alle (selbst die, die sonst ganz gut Französisch sprechen, nur im Zusammenhang mit deutschen Texten funktioniert das dann plötzlich gar nicht).

      Ich mochte die Geschichte von Harris trotz aller Einschränkungen, die ich selber sehe, gerne und ich mochte die Arbeit an der Umsetzung. Ich wollte ein farbige, kräftige Erzählung liefern und die Lücken bei Harris auch Lücken sein lassen, damit man vielleicht mit seiner eigenen Phantasie noch dazwischen kommt und die Geschichte in sich selbst weiterspinnt. Ein "Name der Rose" ist das sicher nicht, aber doch genug Anregung und Anlass, um über ein paar aktuelle Dinge nachzudenken und sich gleichzeitig in eine spannende Gegenwelt entführen zu lassen. In erster Linie war es unser Versuch auf hr1 ein Publikum überhaupt erstmal für's Hörspiel zu begeistern und uns dort zu etablieren. Es wurde dort im linearen Programm täglich gesendet und da das Publikum dort eher "informationsafin" ist, haben wir jeweils einen Wissenschaftsappell hinten angehängt. Auch für uns interessant war, dass fast jede*r von uns Angesprochene*r unabhängig von seinem Fachgebiet einzig die Klimakrise in den Fokus rücken wollte. Und vielleicht ist es deshalb auch gut, das Sendung um Sendung als Mantra zu wiederholen…
    • @Leonhard Koppelmann

      Danke für die ausführlichen Erläuterungen. Interessant, die Gedankengänge hinter den jeweiligen Entscheidungen zu lesen.

      Was das Thema Geschlecht angeht, finde ich es gut, richtig und wichtig, wenn Stoffe dahingehend bearbeitet werden, dass mehr weibliche Rollen vorkommen - sofern die Vorlage dies inhaltlich zulässt. Dafür, dass das eine Umsetzung bereichern kann, gibt es ja durchaus Beispiele.

      Ich halte diese Männerlastigkeit auch nicht mehr für zeitgemäß und freue mich immer, wenn mal neue, unverbrauchte Stoffe vertont werden, die stark von weiblichen Perspektiven geprägt sind, ohne dass die Geschichte dies ins alleinige Zentrum des Plots stellte.

      Eine beliebige Besetzung fänd ich dagegen nicht erstrebenswert. Scrooge als Scrooge, wie Dickens ihn wollte, aber gesprochen von Fritzi Haberlandt, das bräuchte ich nun nicht. :zwinker: Stimme und Figur müssen für mich schon auch zusammenpassen. Das trifft ja auch innerhalb desselben Geschlechts zu: Man würde ja Mario Adorf auch nicht (mehr) als jugendlichen Liebhaber besetzen.

      Die Rollen aus sich selbst heraus verstehen, das ist ja schön und gut, aber wenn man das, was es darzustellen gilt, zu sehr "abstrahiert", besteht das Risiko, dass man als Zuschauer/Zuhörer aus viel zu großer (sachlicher) Distanz dem Ganzen beiwohnt, anstatt sich darauf tatsächlich auch intensiv einzulassen und all dem letztlich emotional voll und ganz auszuliefern.

      Aber egal, "Der zweite Schlaf" mag, was den Plot angeht, vor allem nach hinten raus limitiert gewesen sein, aber er war als Hörspiel sehr stark erzählt, vor allem in den ersten Folgen. Allein dafür ganz dickes Kompliment von mir. Das fand ich wirklich richtig stark. Und der Hauptsprecher ist wirklich großartig, eine echte Entdeckung!
      Den sollte man unbedingt häufiger einsetzen, gern auch in kommerziellen Hörspielen.
    • @Hardenberg Max Mauff ist ein toller Schauspieler, und das nicht erst seit gestern. Zuletzt habe ich ihn in Babylon Berlin gesehen und in der Netflix-Serie Sense 8 von den Wachowski-Geschwistern und Tom Tykwer. Auch im Hörspiel ist er kein Neuling mehr, bei Krabat (WDR 2010) war er dabei, da hat er sogar die Hauptrolle gespielt. :] In "Vor Sonnenaufgang" hat er den Spidermann gesprochen, und einiges mehr.
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • Feature: Making of der zweite Schlaf von Susanne Schütz

      DER ZWEITE SCHLAF - Ein Making of.
      Wie wird ein Hörspiel produziert? Wie wird der literarische Stoff umgesetzt? Was ist bei Hörspielen zu beachten? Interviews und Originaltöne von der Arbeit im Studio liefern einen authentischen "Blick hinter die Kulissen" mit den Stimmen von: Martin Brambach, Mechthild Grossmann, Anna Thalbach, Max Mauff, Judith Engel, Fritzi Haberlandt, Steffi Kühnert & Leonhard Koppelmann.

      HR2 hat das Feature zum :download: bereit gestellt.


      OTR-Fan