[hr1] Der zweite Schlaf

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    • Ja, es wurde schon viel gesagt, aber ich finde die geäußerte Kritik bisher ein wenig zu freundlich 8)

      Selten hab ich ein Hörspiel gehört, das so stark begonnen hat!

      Hardenberg schrieb:

      Einige Details ließen mich zwar aufmerken, ich war irritiert, aber das löst sich rasch auf...

      ...und zwar in einem der irrsten und spektakulärsten Twists, die ich je in einem Hörspiel gehört habe!

      Wow!
      Ich war geplättet.

      Bisher habe ich knapp die Hälfte gehört - und bin begeistert.
      Ja, in der Tat.

      Was dann kommt, das ist aber leider äußerst dürftig, hier feiern auch bei Robert Harris die schriftstellerischen Defizite vieler englischsprachiger Autoren fröhliche Urständ, das ist nicht viel besser als bei Dan Brown. Dummerweise fällt ihm aber auch nichts mehr ein und dann wird es halt sehr bitter für den Hörer/Leser.

      Paar Anmerkungen im Detail:

      Kann man die Uhr nach stellen, bis der Holzschnittpfarrer und die Holzschnittbuhlschaft endlich in der Kiste landen. Das wurde dann auch maximal öde "gelöst". Bitte ja kein Klischee auslassen, das wäre ein Verbrechen. So prickelnd und komplexe Lovestory wie Ravioli aus der Dose, in diesem Fall noch nicht mal aufgewärmt.

      Oh Gott, die Hosenrollen! Geht tatsächlich noch blöder als vor paar Monaten mit Sherlock Holmes und Irene Adler. Im Buch kann man das ja sicherlich "überlesen", im Hörspiel geht es einem ständig auf den Zeiger. Mit einer cleveren Besetzung, Santiago Ziesmer anyone?, hätte man das ja noch erträglich machen können, aber nein, man greift voll daneben. "Lustig" ist dabei, wie Frau Großmann und Frau Haberlandt das beide gleich komplett in den Sand setzen, obwohl sie ihre Rollen völlig unterschiedlich anlegen. Aber klar, hier ist Sportkamerad Koppelmann schuldig zu sprechen. Und was sollte eigentlich der durchgeknallte und nulllkommanull zur Figur des Dr. Shadwell passende Knallchargenauftritt auf der Beerdigung? Glaubt man, denn hätte der Hörer eh schon vergessen, wenn diese Figur richtig als seriöse Wissenschaftlerin vorgestellt wird. Hat er nicht, das war der Dorfdepp aus Folge 1 und das passt null zusammen.

      Und was sollte das eigentlich, gibt das irgendwann noch Sinn oder einen dramaturgischen Kniiff, Herr Sommer, Herr Koppelmann? - "Uahhhhh, ähhhh, weiß ich nicht". Also nein, hätte ich mir wirklich nicht gedacht, dass da GAR NICHTS kommt. Übrigens, wenn schon darauf bestanden wird, alle damit zu nerven, einen deutschen Namen möglichst englisch auszusprechen, dann bläut wenigstens ALLEN Sprechern ein, dass sie ihn gleich aussprechen. Wie, das geht bei diesem Namen nicht, weil ihn selbst jeder Engländer unterschiedlich aussprechen würde? Aber geh, trotzdem fällt der Groschen nicht?

      Und werdet ihr eigentlich nach Minuten bezahlt oder wieso nervt ihr den Hörer dauern mit Wiederholungen Eures "Expertenpanels"? Elende Zeitschinderei, dabei wären ja nicht einmal alle Wortspenden nervig, nein, da sind auch richtig gute dabei, aber so mit dem Holzhammer und in Endlosschleife ist das einfach knorke.

      Nächste Frage geht dann wohl eher wieder nach England, Meister, was hat denn nun den großen Knall ausgelöst? Einfach nur ein Strom- und Internetausfall in London? Oder waren das die Armeen des Kalifen, bleibt bei paar lahmen Andeutungen, hätte man sich schon was ausdenken können auf über 400 Seiten. Wenn Sie das gemacht haben, Herr Harris, dann Kommando zurück, wo versteckt sich denn der Sommer, auf der Damentoilette?

      Und dann steht dieser Turm jahrhundertelang rum und keinen interessiert es? Ja, um den Turm herum findet man interessante Sachen, was es mit denen wohl auf sich hat? Aber um reinzuschauen, wer käme denn auf sowas. Drehen mehrere Figuren lieber doch noch ein paar Jahre Runden drumherum.

      Das große Finale, mehr als Mantel des Schweigens fällt mir dazu nicht ein. Oder doch, wenn einem nichts besseres einfällt, dann klaut man besser bei Monty Python und lässt Polzeiautos aus 2020 vorfahren und alle festnehmen.

      Fazit: Von Weltklasse zur Kreisklasse in 12 Teilen. Und eine richtig gute, ja geniale Idee, reicht wohl nicht für 400 Romanseiten und auch nicht für 300 Netto-Hörspielminuten. Schade, da war so viel mehr drin. Man hat das Gefühl, es musste beim Roman ein Veröffentlichungstermin eingehalten werden und Harris hat deshalb einfach ein ab der Hälfte unausgegorenes und unvollständiges Manuskript abgegeben. Weiß ich nicht, kenne ja das Buch nicht. Werd mal in die Rezensionen schauen, würde mich doch sehr interessieren, wer die Hauptverantwortung übernehmen muss, der Autor des Originals oder die Bearbeiter.
      "The period of the Daddschals dominion is generally set at forty days, the first day being like a year, the second like a month, the third like a week, and the remainder “like your days,” that is, days of normal duration (Kašmīrī, p. 112)"
    • GrimReaper schrieb:

      Fazit: Von Weltklasse zur Kreisklasse in 12 Teilen.
      Das umschreibt es auch für mich gut! ;)
      Fängt sehr stark an, lässt dann leider aber erheblich nach.
      (Da habe ich ja weiter oben auch schon was zu gesagt.)
      Insgesamt immer noch unterhaltsam und besser als sehr vieles andere, was ich so im Player hatte in diesem Jahr.
      Aber mein Drang, es mit irgendwelchen Superlativen zu bedenken, hält sich in Grenzen.
    • Ja, hat sicher seine Schwachpunkte, gar keine Frage. Trotz allem finde ich das Kopfkino, das hier bei mir in Gang gesetzt wurde, als großartig.
      Ich mag solche Stoffe, und der Twist von "och, schon wieder ein Mittelalter Thriller" bis zur Aufdeckung, dass es sich um SF handelt, ist schon top. :]
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • GrimReaper schrieb:

      Übrigens, wenn schon darauf bestanden wird, alle damit zu nerven, einen deutschen Namen möglichst englisch auszusprechen, dann bläut wenigstens ALLEN Sprechern ein, dass sie ihn gleich aussprechen. Wie, das geht bei diesem Namen nicht, weil ihn selbst jeder Engländer unterschiedlich aussprechen würde? Aber geh, trotzdem fällt der Groschen nicht?
      Um welchen Namen geht es und was soll da für ein Groschen fallen? Ich steh auf dem Schlauch..
      Ein Vogel sitzt auf meinem Bein, dem schlag ich gleich die Fresse ein.
      Knarf Rellöm
    • gruenspatz schrieb:

      Ja, hat sicher seine Schwachpunkte, gar keine Frage. Trotz allem finde ich das Kopfkino, das hier bei mir in Gang gesetzt wurde, als großartig.
      Ich mag solche Stoffe, und der Twist von "och, schon wieder ein Mittelalter Thriller" bis zur Aufdeckung, dass es sich um SF handelt, ist schon top. :]

      Dem kann ich mich voll anschließen.

      Ja, es ist richtig: Harris geht merklich die Puste aus nach dem phänomenalen Twist in Folge 2. Das ist vor allem zu Beginn der zweiten Hälfte spürbar, als Großmann und Haberlandt mehr Gewicht innerhalb der Handlung bekommen.
      Gegen Ende zieht die Spannung dann wieder an, erreicht aber nicht mehr die Intensität der ersten Hälfte an Hörspielfolgen.

      Aber die sind für mich auf jeden Fall ein Highlight und die zweite Hälfte nun nicht so verkorkst, dass ich das ganze Hörspiel in Frage stellen müsste.

      Zumal wenn ich es mit vielem anderem vergleiche. Da, wo dieses Hörspiel in den ersten Folgen war, gelangen die meisten gängigen Serien niemals hin, nicht für eine Sekunde. :zwinker:
    • marc50 schrieb:

      Um welchen Namen geht es und was soll da für ein Groschen fallen? Ich steh auf dem Schlauch..
      Morgenstern.

      Bei Koppelmann hätte der Groschen fallen sollen, dass es nicht sehr sinnvoll ist, das "einzuenglischen", wenn er nicht mal zwei Engländer finden würde, die das gleich aussprechen.

      Hardenberg schrieb:

      gruenspatz schrieb:

      Ja, hat sicher seine Schwachpunkte, gar keine Frage. Trotz allem finde ich das Kopfkino, das hier bei mir in Gang gesetzt wurde, als großartig.
      Ich mag solche Stoffe, und der Twist von "och, schon wieder ein Mittelalter Thriller" bis zur Aufdeckung, dass es sich um SF handelt, ist schon top. :]
      Zumal wenn ich es mit vielem anderem vergleiche. Da, wo dieses Hörspiel in den ersten Folgen war, gelangen die meisten gängigen Serien niemals hin, nicht für eine Sekunde. :zwinker:
      Tja, das ist halt den Punkt. Wenn ich höre, wie eine Sache verbockt wird, die wirklich extrem vielversprechend begann, nicht nur zehn Minuten, nein, ein paar Stunden, dann ist das umso enttäuschender,. Anders bei dem Kram, bei dem eh gleich klar war, dass wird maximal Durchschnitt. Hier waren dann auch noch so gute Sprecher, von den Hosenrollen abgesehen. Max Mauff ist ja wirklich grandios, Bernhard Schütz ebenso.

      Wenn man einen dicken Roman auf ein Hörspiel eindampft, dann bringt das auch immer Chancen. Neben den Risiken, dass man Sachen inkonsequent weglässt, da fallen mir ja auch gleich einige ein. Was steckt hinter dem "zweiten Schlaf", dem Artefekt, dem Puppe ...

      Chancen, dass man mit künstlerischer Freiheit schwächen des Buches ausmerzen kann. Diese haben Sommer und Koppelmann nicht genutzt.

      Ich habe zum Buch jetzt auch ein paar Rezensionen gelesen, das bestätigt den Verdacht, dass da schon beim Roman etliches im Argen war.

      Das würde ich weiterempfehlen: phantastik-couch.de/titel/11326-der-zweite-schlaf/

      Und auf Amazon hab ich noch einen echten Kracher gefunden:
      Die Schlammlawine am Ende des Buches, die alles unter sich begräbt, ist symbolisch für den gesamten Inhalt. Nichts ist klar, kein Gedanke zu Ende gebracht, lose Enden ohne Zahl und der Rest ist trivialer als ein Frauenroman von Bastei-Lübbe: Verarmte, verwitwete und dazu noch rothaarige Lady mit Alabasterhaut verführt 24-jährigen, vollbärtigen Pastor, der - sage und schreibe - darob zwar ein wenig ein schlechtes Gewissen kriegt, aber trotzdem Freude verspürt.
      Gott sei Dank hat man uns das im Hörspiel erspart. Bei der Rothaarigen mit Alabsterhaut hätte es dann wohl kein Halten mehr gegeben.
      "The period of the Daddschals dominion is generally set at forty days, the first day being like a year, the second like a month, the third like a week, and the remainder “like your days,” that is, days of normal duration (Kašmīrī, p. 112)"
    • GrimReaper schrieb:

      marc50 schrieb:

      Um welchen Namen geht es und was soll da für ein Groschen fallen? Ich steh auf dem Schlauch..
      Morgenstern.
      Bei Koppelmann hätte der Groschen fallen sollen, dass es nicht sehr sinnvoll ist, das "einzuenglischen", wenn er nicht mal zwei Engländer finden würde, die das gleich aussprechen.

      Ok kapier ich nicht.
      Ein Vogel sitzt auf meinem Bein, dem schlag ich gleich die Fresse ein.
      Knarf Rellöm
    • gruenspatz schrieb:

      @Leonhard Koppelmann Ui hallo, Leo, das finde ich klasse! :winke3:

      Ich habe das Buch nicht gelesen, aber stimmt es, dass Dr. Shadwell und Oliver Quyke Frauen sind, die sich wegen der Repressionen der von der Kirche geprägten Gesellschaft als Männer verkleidet haben?

      Und was genau hat es mit dem "Zweiten Schlaf" auf sich?
      Liebe Ste…,

      nein, im Buch sind das so weit ich weiß Männer, von Quyke wird nur gesagt, es sei ein bisschen "weibisch". Es war meine Entscheidung hier einmal eine Besetzung zu versuchen, die die Geschlechtergrenzen ignoriert. Auf dem Theater ist diese Konvention schon lange aufgehoben, während das in Hörspiel und Film sehr schwierig ist. Die gesellschaftliche Diskussion um eine höhere Parität zwischen den Geschlechtern herzustellen, möchte ich nicht weiter ignorieren und mehr versuchen, wenn man beide Geschlechter besetzen könnte, mich häufiger für Frauen zu entscheiden. Ich habe das jetzt auch ganz bewußt in einer "Blockbuster"-Produktion (oder dem was wir dafür ansehen) gemacht, weil es hier am ehesten ein Aha erzeugt (im Guten, wie im Schlechten – denn ich lerne ja auch erst noch, was (künstlerisch) zumutbar ist und was einfach mehr Fragen aufwirft, als den Geschichten zumutbar ist. Und zu allererst, will ich natürlich ein gutes Hörspiel machen und nicht nur ein gut gemeintes. Im Gegensatz zum Buch, sind auch viele Wissenschaftler*innen und Politiker*innen statt wie bei Harris mit Frauen besetzt (hier haben wir allerdings die Rollennamen angepasst und damit fällt das nicht weiter auf, weil Premierministerinnen zum Glück ja schon zum Alltag gehören).

      Der Titel wird gegen Ende des ersten Teils kurz erklärt:

      MRS BUDD Gute Nacht, Hochwürden. Ach, fast hätte ich es vergessen. Ich weiß nicht, wie das bei Euch in der Stadt ist.
      CHRISTOPHER Wie was ist?
      MRS BUDD Das mit der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Schlaf.
      CHRISTOPHER Wie soll es schon sein? Ganz normal. Ich bin nach dem ersten Schlaf so gegen Mitternacht gut ein bis zwei Stunden wach, bevor der zweite Schlaf kommt. Was soll daran anders als auf dem Land sein?
      MRS BUDD Nun, hier im Dorf, da verlassen die Menschen zwischen dem ersten und zweiten Schlaf zuweilen sogar ihre Häuser, unterhalten sich und arbeiten. Ich wollte es Euch sagen, damit Ihr Euch nicht wundert.
      CHRISTOPHER Was? Aber es ist doch Sperrstunde?
      MRS BUDD Die interessiert hier niemanden.

      Ich hoffe, ich habe das nicht nachträglich noch rausgekürzt… muß gleich nochmal nachhören…

      Insgesamt legt Harris viele Fährten in seinem Roman und verfolgt nicht alle bis zum Ende… :S
    • Leonhard Koppelmann schrieb:

      Der Titel wird gegen Ende des ersten Teils kurz erklärt:

      MRS BUDD Gute Nacht, Hochwürden. Ach, fast hätte ich es vergessen. Ich weiß nicht, wie das bei Euch in der Stadt ist.
      CHRISTOPHER Wie was ist?
      MRS BUDD Das mit der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Schlaf.
      CHRISTOPHER Wie soll es schon sein? Ganz normal. Ich bin nach dem ersten Schlaf so gegen Mitternacht gut ein bis zwei Stunden wach, bevor der zweite Schlaf kommt. Was soll daran anders als auf dem Land sein?
      MRS BUDD Nun, hier im Dorf, da verlassen die Menschen zwischen dem ersten und zweiten Schlaf zuweilen sogar ihre Häuser, unterhalten sich und arbeiten. Ich wollte es Euch sagen, damit Ihr Euch nicht wundert.
      CHRISTOPHER Was? Aber es ist doch Sperrstunde?
      MRS BUDD Die interessiert hier niemanden.

      Ich hoffe, ich habe das nicht nachträglich noch rausgekürzt… muß gleich nochmal nachhören…
      Nein, hast Du nicht rausgekürzt. An genau diese Passage hatte ich auch gedacht - die hat bei mir allerdings erst so richtig das Kopfkino angeworfen, weil ich immer darauf gewartet habe, dass dieses AHA irgendwann mal bei mir anklopft, und irgendeine Sci-Fi-Erklärung hinter der nächsten Ecke lauert...


      Insgesamt legt Harris viele Fährten in seinem Roman und verfolgt nicht alle bis zum Ende…

      Ja, das hat er allerdings!! =) Die Puppe ist ja auch so ein Fall...



      Und die Besetzung mit Frauen in Männerrollen - das ist ja ein Ding. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das der Hintergrund war für Deine Entscheidung! Ich bin ja auch Operngänger und hätte von daher auf die Fährte kommen können, dort gibts das ja zuhauf. Aber das ist so ein Novum für mich im Hörspiel, dass ich jetzt total verblüfft bin. Deine Erklärung finde ich aber großartig. Vor allem gibt es ja auch überwältigend viele alte Stoffe, wo man DIE Frauenrolle in einem Footballfeld-großen Männerensemble mit der Lupe suchen muss. :]
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • Leonhard Koppelmann schrieb:

      Es war meine Entscheidung hier einmal eine Besetzung zu versuchen, die die Geschlechtergrenzen ignoriert. Auf dem Theater ist diese Konvention schon lange aufgehoben, während das in Hörspiel und Film sehr schwierig ist. Die gesellschaftliche Diskussion um eine höhere Parität zwischen den Geschlechtern herzustellen, möchte ich nicht weiter ignorieren und mehr versuchen, wenn man beide Geschlechter besetzen könnte, mich häufiger für Frauen zu entscheiden. Ich habe das jetzt auch ganz bewußt in einer "Blockbuster"-Produktion (oder dem was wir dafür ansehen) gemacht, weil es hier am ehesten ein Aha erzeugt (im Guten, wie im Schlechten – denn ich lerne ja auch erst noch, was (künstlerisch) zumutbar ist und was einfach mehr Fragen aufwirft, als den Geschichten zumutbar ist. Und zu allererst, will ich natürlich ein gutes Hörspiel machen und nicht nur ein gut gemeintes. Im Gegensatz zum Buch, sind auch viele Wissenschaftler*innen und Politiker*innen statt wie bei Harris mit Frauen besetzt (hier haben wir allerdings die Rollennamen angepasst und damit fällt das nicht weiter auf, weil Premierministerinnen zum Glück ja schon zum Alltag gehören).
      Das ist für mich nur bedingt ein Argument. Natürlich gibt es Hosenrollen im Theater seit ein paar 100 Jahren, aber die sind dann ja nicht völlig wahllos eingestreut, sondern folgen einem dramaturgischen oder äthetischen Sinn. In diesem Fall kann ich aber keinen erkennen, das ist aus Hörersicht völlig wahl- und grundlos geschehen. Und die Rollen des Duos Shadwell und Quyke gleichermaßen von Frauen sprechen zu lassen, das erweckt ja beim Hörer über Stunden hinweg die Erwartungshaltung, dass hier noch ein dramaturgischer Kniff kommen muss. Was dann am Ende der Conclusio "Weiß er wohl selber nicht mehr, warum er das gemacht hat", führt. Gerade bei einem Stück, bei dem man ohnehin das Gefühl hat, dass der Autor am Ende nicht mehr weiß, womit er angefagen hat.

      Klar, wenn der Harris alles stark überwiegend mit Männern bestückt hat, von den Politikern bis zu den Wissenschaftlern und Kirchenfürsten, dann ist es sicherlich sinnvoll, wenn man da etwas gegensteuert, dann aber nicht die Namen anzupassen, da erschließt sich mir der Sinn nicht und es nervt einfach beim Hören. Wobei, wenn man das schon so machen will, dann wäre es beim Bischof und dem Adlatus origineller gewesen, da hätte man sich noch etwas zusammenreimen können mit der extrem patriarchalischen Kirche an deren Spitze dann aber eine Frau steht.

      Eine bessere Maßnahme wäre es aus meiner Sicht gewesen, die abgeschmackte und klischeebeladene Liebesgeschichte komplett rauszuwerfen. Die "rothaarige Lady mit Alabasterhaut", die den in Liebesdingen naiven Pfarrer verführt, das braucht in 2020 wirklich niemand mehr. Auch wenn dergleichen vor 35 Jahren im Film mit Christian Slater und Valentina Vargas absolut überragend filmisch umgesetzt wurde. Aber hier sind wir leider eher bei einem Genre, mit dem Sie bestimmt nichts zu tun haben wollen.

      Ähnlich ist es mit dem Nervfaktor bei der guten Frau Professor. Wenn Sie keinen deutschen Namen in einem Hörspiel, welches in England spielt haben wollen, warum ändern Sie dann den Namen Morgenstern nicht einfach? Es ist für mich als Hörer wirklich mühsam, die Sprecher sich durch "Morgänstörn", Morgänstärn" "Mörgenstern" sich die Zunge brechen zu hören. Hat für mich auch immer etwas unangenehm oberlehrerhaftes, wenn man einem unter die Nase reiben will, dass das aber ausländisch ganz anders ausgesprochen werden muss. Und besonders skurril wird es bei einem Namen, den vermutlich eh keine zwei Engländer gleich aussprechen würden/könnten. Noch besser ist das, wenn zwar bei englischen Namen penibelst darauf geachtet wird, dass die ja nicht deutsch klingen, aber im selben Stück bei spanischen oder chinesischen das komplett ignoriert wird.

      Leonhard Koppelmann schrieb:

      Der Titel wird gegen Ende des ersten Teils kurz erklärt
      Ja, die Stelle gibt es schon. Aber das ist eine extrem dünne Erklärung für den Titel, klar, das ist nicht Ihre Baustelle.

      Ganz allgemein bleibt halt für mich das ungute Gefühl, dass dieses Buch eventuell nicht ganz die literarische Qualität für solch eine aufwändige Premiumproduktion hatte. Bzw. die Bearbeitung hier viel stärker eingreifen hätte müssen. Was aber wahrscheinlich dann rechtlich wieder problematisch ist.
      "The period of the Daddschals dominion is generally set at forty days, the first day being like a year, the second like a month, the third like a week, and the remainder “like your days,” that is, days of normal duration (Kašmīrī, p. 112)"
    • GrimReaper schrieb:


      Leonhard Koppelmann schrieb:

      Der Titel wird gegen Ende des ersten Teils kurz erklärt
      Ja, die Stelle gibt es schon. Aber das ist eine extrem dünne Erklärung für den Titel, klar, das ist nicht Ihre Baustelle.

      "Der zweite Schlaf" als Buchtitel ist mir ebenfalls ein Rätsel, WENN diese Stelle im Buch der einzige Hinweis bleibt.

      Für mich habe ich mir den Buchtitel allerdings auch noch auf einer zweiten Ebene erklärt:

      Der erste Schlaf war das echte Mittelalter, in dem nix voranging, "Der zweite Schlaf" ist nun quasi das zweite Mal Mittelalter, in das die Menschen zurückgeworfen wurden. Das würde für mich auf dieser Ebene einen Sinn geben.
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • Das halte ich für eine sehr plausible und darum überzeugende Interpretation. @gruenspatz

      Die Menschen in der Geschichte befinden sich ja tatsächlich in einer Art kirchlich gesteuertem Schlaf, wie vor der (ersten) Aufklärung.

      Für mich muss auch nicht alles erklärt werden. Man kann sich ja durchaus selbst einen Reim machen, wie gruenspatz beweist.

      Auch den Frust über die Aussprache kann ich nicht so recht nachvollziehen, aber so empfindet es halt jeder anders.

      Dass die Frauen in Männerrollen auftreten, dafür gibt es ja auch Deutungsansätze, die plausibel sind. Das muss dann für mich auch nicht aufgedröselt werden.
      Ich fand halt nur die Sprecherinnen nicht gut. Frau Großmann war mir zu monoton, Frau Haberlandt zu sehr drüber, aber dass es Frauen waren, fand ich im Kontext gar nicht so uninteressant, denn in der geschilderten Gesellschaft dürfte wohl wenig Interesse an forschenden Frauen bestehen.
    • Den "zweiten Schlaf" hatte ich ja auch bereits ein bisschen so gedeutet, wie es grünspatz getan hat.
      Wobei mich aber schon nervt, dass die Menschen hier auch tatsächlich mit Unterbrechung schlafen und man dafür keine Erklärung erhält.
      Denn das ist mir dann einfach zu konstruiert.
      Hätte man den "zweiten Schlaf" tatsächlich nur im Titel eingebaut, wäre unsere versuchte Erklärung viel eindeutiger und besser nachvollziehbar, als wenn wir wir diese "metaphysische" Ebene verlassen und sich der " Zweites-MA-Zustand" auch aktiv auf den Schlaf der Menschen "auswirkt". Wo wären die Grunde dafür? :pfeifen:
      Aber das müsste man Mr Harris fragen. :zwinker:

      Frauen in Männerrrollen, joa, okay, aber wenn man das so bringt wie hier, dann ist klar, dass das Gros der Hörer das einfach erklärungslos hinnimmt, sondern nach einer Auflösung fragt.
      Ich hätte es mir ja noch gefallen lassen, wenn zumindest einer der (Haupt)Charaktere mal den Umstand angesprochen hätte, dass die beiden "Männer" wie Frauen klingen. Aber das wird einfach so hingenommen...obwohl es wirklich überdeutlich zu hören ist! ^^

      Aus einer Vorlage kann man nicht viel mehr herausholen, als das, was sie eben hergibt. Es sei denn, man will sie zur Not umschreiben. :zwinker:
      Hier lag für mich der "Höhepunkt" des Ganzen schon im ersten großen und wirklich tollen Twist, dem "Aha!-Moment", festzustellen, in welcher Zeit wir uns tatsächlich befinden! :arg4:
      Vieles, was danach kam, wirkte ein bisschen unausgegoren.
      Ein gelungenes Hörspiel ist es aber nichtsdestotrotz geworden!
    • Hardenberg schrieb:

      vor allem der Hauptsprecher war für mein Empfinden überragend
      Das sehe bzw. höre ich ganz genauso, das war eine Spitzenleistung.
      "The period of the Daddschals dominion is generally set at forty days, the first day being like a year, the second like a month, the third like a week, and the remainder “like your days,” that is, days of normal duration (Kašmīrī, p. 112)"