[NDR Kultur] Das bunte Leben und der schwarze Tod von Walddorf

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    • [NDR Kultur] Das bunte Leben und der schwarze Tod von Walddorf

      Inhalt:
      "Die Macht schwimmt in hundert kanonenbeladenen Schiffen über das Meer; sie stampft mit den eisernen Sohlen der Musketiere und Feuerröhrer von Böhmen gen Norden, sie galoppiert auf starken, weißen Pferden in festem Leder und in Eisen von Amsterdam aus in das Herz des deutschen Landes. Erst ist sie nur in den Köpfen der Großen, dann breitet sie sich rot in der Wirklichkeit aus. Sie heißt Gustav Adolf, der Tilly, der Wallenstein. Und Kaiser und Gott und Sohn und Tod. Sie ist nicht einfach, sie erscheint kompliziert, taugt nicht zum Begreifen, macht nur noch Angst, so groß und so schrecklich erscheint sie der Ohnmacht. Kluge Köpfe wachsen ihr auch und mit ihnen Rechtfertigungen des Schlimmen. Und eine von ihnen heißt Gottessohn. Und weil er am Holz hängt und furchtbar blutet, und weil solche Bilder ähnliche zeugen, versucht die Macht, alles ihm gleich zu machen: Was geschieht, geschieht im Namen des Herrn, der Raub, der Mord, der rote und auch der schwarze Tod. Und Gott heißt auch der Hebel der Angst, mit dem immer mehr Goldstücke, Taler und Dukaten in die Taschen der Macht hineingehievt werden." (Harald Mueller)

      "Die Ohnmacht wohnt fernab von der Heerstraße des großen Krieges, der dreißig Jahre lang dauern wird. Sie hat sich versteckt hinter dem Schutzwall unwegsamer, dunkler Wälder, hofft dort, der Macht zu entkommen, nicht aufgespürt, nicht gefunden zu werden, und verliert dennoch die Gewißheit des großen Unglücks nie. Hinz, Kuno, Gelböhrchen, Toffel heißt sie, Meckerjule, Else Katzfell und Lore Plappermäulchen vom Wiesenrain. Sie sät und erntet, bestellt die mageren Äcker am Hang, treibt ihre Schafe auf den Berg in der Heide, legt Rüben in das fichtene Winterfaß und sitzt, wenn der Schnee vom Himmel herab auf das Land fällt, hinter dem Spinnrocken oder am Webstuhl. Sie heiratet, bringt Kinder zur Welt, wird auf dem Gottesacker hinter der Pfarr begraben. Es sind einfache Muster, nach denen sie lebt, und sie will nicht viel mehr als dieses einfache Leben. Aber die Macht hat anderes vor mit der Ohnmacht. Sie kommt als Feldwebel, Leutnant Obrist, als Söldner wie Ameisen, Berittene und Feuerwerker, die mit Brandkugeln schießen. Sehr groß, sehr unausweichlich und sehr überall. Und sie alle sagen, Gott sei mit ihnen, zu welcher Partei sie auch gehören, der Feuerschweif am Himmel beweise es. Und der schwarze Tod zieht im Gefolge der Macht und breitet sich aus wie ein Flächenbrand. So tanzt die Macht ihren Totentanz wie immer auch hier auf dem Rücken der Ohnmacht." (Harald Mueller)
      Eine Chronik aus der Zeit des 30jährigen Krieges hat den Autor zu seinem zweiteiligen Hörspiel angeregt. Das großangelegte Historiengemälde versucht, Leben und Sprache der Epoche szenisch zu rekonstruieren.

      Sprecher:
      Simone Becker - Kleinkind
      Anneliese Betschart - Nörgelkäte
      Rolf Beuckert - 1. ev. Hetzstimme/kath. Theologe
      Hans Helmut Dickow - Wallenstein/Reiter
      Wilfried Elste - Kuno
      Bettina Franke - Gelböhrchen
      Hans Karl Friedrich - Alter Karl Lassen
      Antje Hagen - Else Katzfell
      Christian Hoening - 2. ev. Hetzstimme
      Albert Hoerrmann - Adam
      Hannelore Hoger - Marie Töpferin
      Lenka Koudelak - Liesel
      Heinz Werner Kraehkamp - Fritz
      Anfried Krämer - 1. kath. Hetzstimme/ev. Theologe
      Marianne Lochert - Meckerjule
      Peter Niemeyer - 3. kath. Hetzstimme
      Tilo Prückner - Flachs
      Walter Renneisen - Toffel
      Peter Roggisch - Schwedenkönig/Fugger von Babenhausen
      Hans Christian Rudolph - Hans/ev. Prediger
      Otto Sander - Karl Lassen
      Erwin Scherschel - 3. ev. Hetzstimme
      Elisabeth Schwarz - Katrin
      Wolf-Dietrich Sprenger - Hinz
      Herbert Stass - Jobst
      Ludwig Thiesen - Jakob
      Michael Thomas - Jörg
      Aart Veder - 2. kath. Hetzstimme/kath. Prediger
      Stefan Viering - 3. kath. Hetzstimme
      Monika Weniger - Lore Plappermäulchen
      Klaus Wennemann - Just
      Volker Wennemann - Martin
      Grete Wurm - Hutz

      Produktion:
      von Harald Mueller
      Regie: Walter Adler
      HR/BR/SFB 1980 / Erstsendung: 25.& 26.05.1980

      NDR Kultur hat den zweiteiligen Hörspielklassiker zum
      :download: Teil 1 - Das bunte Leben
      :download: Teil 2 - Der schwarze Tod
      bereit gestellt.


      OTR-Fan
    • Uhoh, ein Hörspiel zum 30jährigen Krieg, das is starker Tobak.
      Die Leute mussten ja Unvorstellbares aushalten damals - wers überlebt hat... :pinch:
      Hm, Walter Adler und dazu viele gute Sprecher. Ich glaube, das muss ich mir trotzdem runterladen und anhören.
    • Habe mir den Zweiteiler vorhin angehört und muss sagen, dass er mir wesentlich! besser gefallen hat, als die etwas sperrige Inhaltsangabe hätte vermuten lassen.
      Hatte schon fast damit gerechnet, womöglich in der Hälfte abzubrechen, aber das Gegenteil war der Fall!
      Ich habe die etwa zweieinhalb Stunden hintereinander weggehört, und die Zeit kam dabei mir nicht mal lang vor!
      ;)
      Otto Sander als die Hauptfigur - der ehemalige Pfarrer Karl Lassen - schreibt, mittlerweile über siebzig, seine Erlebnisse in dem kleinen Walddorf für seine Tochter Anne nieder und erinnert sich dabei an all das Grauen, aber auch die trotz allem schönen Momente, die er und seine Gemeindeschäfchen während einer Phase des 30jährigen Krieges erlebt haben.
      Für uns heute doch sehr nachdenklich machend, was den "kleinen Leuten" dabei so widerfuhr, die über drei Jahrzehnte hinweg unter einem Krieg zu leiden hatten, an dem sie nicht die geringste Schuld trugen, nichts ändern konnten, dem sie, mitsamt seiner extrem brutalen Auswüchse, hilflos ausgeliefert waren!
      Und das nur aufgrund der Machtgier ihrer jeweiligen Herrscher und der Potentaten, die quasi "von außen", mit einstiegen - so dass das, was zunächst als Religionskrieg begonnen hatte, ganz schnell das war, worum es wohl insgeheim schon von Anfang an ging - ein Kampf um neue Territorien und die Macht darüber!
      Dass hier der eine in Wahrheit genau dieselben eigennützigen Motive verfolgt wie der andere, zeigen die immer wieder zwischen den eigentlichen Hörspielszenen vorgetragenen Inhalte irgendwelcher Flugblätter, Aufrufe oder "Werbetexte" für die neueste Kriegsmaschinerie.
      Dieser Aufbau hat mir wirklich gut gefallen, weil er die Sinnlosigkeit des Ganzen und das Leiden der Menschen noch weiter unterstreicht.
      Egal, wie abgelegen das Dorf und wie arm seine Bewohner, marodierende Söldner finden sie trotzdem, nehmen ihnen das Bisschen noch weg, vergewaltigen und töten...und als wäre das nicht schon schlimm genug, kommt dann schließlich auch noch die Pest ins Dorf...
      Wie man ihr zu entkommen versucht, wie sich sogar Eltern von ihren Kindern abwenden, um sich nicht zu infizieren, wie man in den Häusern bleibt, nicht weiß, was man tun soll, Kräuter verbrennt, betet - all das bekommt vor dem Hintergrund der derzeitigen Coronakrise nochmal eine besondere Brisanz - auch wenn ich die natürlich nicht mit der Pest vergleichen möchte!
      Aber hier zeigt sich so schön unschön :zwinker: , was wir Menschen schon alles durchstehen mussten...

      Gute, teils auch sehr bekannte Sprecher/Innen, eine interessante, eindringliche Musik- bzw. Sounduntermalung, die aber zu den Geschehnissen passt, der Einstz von sog. "Hetzstimmen", eine Sprache, bei der darauf geachtet wurde, dass sie keinesfalls zu "modern" klingt - von mir gibt für all das eine Hörempfehlung!! :thumbsup:

      Wobei viele die Produktion ja sicher schon kennen dürften, denn sie ist ja bereits 40 Jahre alt.