SHOW, DON'T TELL!! - Fluch und Segen des Mediums Hörspiel...

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    • SHOW, DON'T TELL!! - Fluch und Segen des Mediums Hörspiel...

      Aus gegebenem Anlass (und diese ist eine entsprechende Hör-Erfahrung) möchte ich mal einen Punkt zu Diskussion stellen, mit dem man sehr oft konfrontiert wird, wenn man über Hörspiele - und hier vor allem Umsetzungen nach mehr oder weniger prominenten Vorlagen, diskutiert.

      Oft wird kritisiert, dass Hörspielmacher es sich zu leicht machten bei ihren Umsetzungen, dass sie etwa den Erzähler über Gebühr in Anspruch nähmen, um dem Hörer notwendige Informationen zu vermitteln, oder lange Erzählpassagen aus Vorlagen viel zu oft in viel zu lange Dialoge umwandelten, denen es dann völlig an eigener Dynamik und jeglichem Hauch von Spannung mangelte, weil es eben primär um die Vermittlung von Details aus der Vorlage und nicht so sehr um ein Knistern zwischen den Personen ginge. Oft kritisiert wird auch, dass Figuren aus der Handlung heraus das, was sie sehen, beschreiben, um so das Fehlen des Bildes für den Hörer auszugleichen - was dann eben dazu führt, dass die Menschen sich in einer Weise äußern, wie sie es im normalen Leben niemals täten, denn niemand würde ja zu sich selbst oder einem Begleiter sagen: Oh, schau, da kommt jemand, ein dunkler Schatten - es ist ein Mann, und er hat ein langes Messer in der Hand. O nein, er hebt das Messer und rammte es mir - argh!, in den Bauch. Ich sterbe!

      Nun könnte man natürlich argumentieren, das Hörspiel sei eben ein Hörspiel und nicht das wahre Leben. Aber wenn man dies gelten ließe, dann verkäme dieses Medium völlig zu einer rundherum konstruierten Kunstform, in der ein Realitätsbezug nicht mehr erwünscht, vielleicht sogar ausdrücklich ausgeschlossen wird. Kann man machen. Aber dies ginge natürlich auf Kosten der Identifikation mit den handelnden Figuren und letztlich der Handlung, denn Figuren, die sich völlig unverständlich verhalten, vielleicht sogar widersinnig oder lächerlich, denen man anmerkt, dass sie nur deshalb so agieren, weil der Autor es so wollte oder ihm nichts Besseres eingefallen ist, mit solchen Figuren fiebere ich natürlich weniger oder überhaupt nicht mit, die Handlung packt mich nicht, und ich verliere schon während des Hörens das Interesse.

      Nun weiß ich natürlich, dass es manche Vorlage gibt, die nicht unbedingt dazu einlädt, als Hörspiel umgesetzt zu werden, eben weil sie als Bericht verfasst ist oder der Protagonist über weite Teile allein ist. Aber in solchen Fällen gibt es für mich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt es bleiben, wenn einem nichts einfällt, wie man eine solche Geschichte adäquat als Hörspiel umsetzen kann, oder man schaut eben, wie man unter Wahrung des wesentlichen Kerns der Vorlage, die Geschichte für eine Hörspielumsetzung so variiert, dass man eben ohne endlos vor sich hinplätschernde Dialoge ohne jede Spannung, überbordende Erzählereinsätze oder hölzern-beschreibende Monologe handelnder Figuren auskommt.

      (Im Film wird das ja auch zwangsläufig so gemacht, da es nicht möglich ist, die Gedanken und Gefühle zu schildern, wie es in der Buchvorlage ganz wesentlich geschieht. Man muss Mittel und Wege finden, diese Gedanken und Gefühle filmisch darzustellen. Und nur die schwachen Skriptautoren/Regisseure lassen ihre Figuren das Herz auf der Zunge tragen.)

      Wie steht Ihr zu diesem Punkt?
      Habt Ihr auch schon einmal genervt während eines Hörspiels gedacht: SHOW, don't tell! Welche Hörspiele waren das?
      Und gibt es Hörspielmacher, die Eurer Meinung nach dieses Prinzip verinnerlicht haben und in dieser Hinsicht beispielhaft umsetzen?

      Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, das Prinzip "Show, don't tell!" anzuwenden und überlange Erzähl- oder Dialog-Passagen zu vermeiden? Gibt es da einfache Kniffe, die, wären sie beherzigt worden, so einige Hörspiele um Längen besser gemacht hätten?

      Oder seid Ihr da vielleicht nichts so empfindlich, unter Umständen hörbucherprobt, so dass Euch lange Erzähltexte oder beschreibende Dialoge nicht so sehr stören?

      Ich würde mich über einen regen Austausch freuen.

      Und vielleicht mag ja auch der eine oder andere Profi mal berichten, wie er zu dieser Problematik steht? Hier würde mich vor allem die Einschätzung von @Interplanar sehr interessieren, denn die von ihm verantworteten Hörspiele kommen ja sehr oft ohne Erzähler aus. Ich könnte mir denken, dass das nicht allein dem Zufall geschuldet ist. :zwinker: (Wird es bei UAES eigentlich einen Erzähler geben?)
    • Seit ich für Contendo schreibe verzichte ich weitgehend auf Erzähler. Das sah bei meinen unkommerziellen Hörspielen noch anders aus. In wenigen Fällen habe ich auf einen Ich-Erzähler zurück gegriffen. Ich persönlich mag keine Selbstgespräche oder beschreibende Dialoge, deshalb versuche ich möglichst darauf zu verzichten. Klappt nicht immer, aber meistens. So kann man z.B. einer Figur, die allein im Wald unterwegs ist, ein Handy in die Hand drücken mit dem sie dem Gesprächspartner ihre Eindrücke schildern kann. Da gibt es viele Möglichkeiten. Letztendlich habe ich aber nichts gegen einen Erzähler. Bei einem Kinderhörspiel finde ich das sogar schön.
    • Ich bin bekennender Fan von Erzählern. Ich finde es einfacher dem Ganzen zu folgen, auch wenn es künstlerisch evtl. etwas überholt ist.

      Es kommt etwas auf die Art der Hörspiele an. Bei EA Poe von Lübbe war es überhaupt nicht notwendig, weil es gemächliches vorging und Poe ja viel selber erzählt. Bei Caine oder der schwarzen Sonne, sieht es da schon schwieriger aus, gerade wenn Zeitsprünge stattfinden. Außerdem kann ein Erzähler auch positiv auf das Hörspiel einwirken, wie bei Burns.

      Bei z.B. Benjamin Blümchen gehört der Erzähler dazu, gerade bei den alten Folgen war er ja teilweise auch in die Handlung indirekt eingebunden. War ganz toll, der Herr Nottke. *schwelg*
    • Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen den Erzählereinsatz. Für unsere Sachen habe ich mich meist dagegen entschieden, weil ich den Verfremdungseffekt (man merkt als Hörer, dass man gerade eine Geschichte erzählt bekommt) nicht wollte. Das ist alles. Das bedeutet bei einer Literaturadaption u.U. stärkere Eingriffe in Szenenstruktur und -orte, weil die epischen Teile ja über Situation und (motivierte) Dialoge vermittelt werden müssen, wenn sie nicht hölzern wirken sollen.

      Was @Tolkien hier schreibt vom Handy am Ohr ist ein völlig legitimes Mittel zu diesem Zweck. Fällt nicht auf, weil es dann gut motiviert erscheint, dass jemand schildert, wie es vor der eigenen Nase aussieht.

      @Hardenberg: ja, in UAES wird es eine Erzählerinstanz geben. Ein bißchen ähnlich wie Mark Brandis' Gedankenmonologe, aber auch wieder nicht.
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      Billionäre bauen Festungen -- die Klimakatastrophe ist Realität!
    • Danke schon mal für Eure gehaltvollen Antworten. :)

      Von meiner Seite nur kurz als Klarstellung:

      Mir ging es nicht um Erzählerparts als solches, sondern um die Fälle, in denen erkennbar ist, dass sie sehr viel Raum einnehmen, um Informationen zu vermitteln, die in der Vorlage in Form eines Berichts oder einer normalen Erzählung Raum gefunden haben. Ich denke, eigentlich ist der "klassische" Erzähler eigentlich fast durchweg der einfachere Weg, den Hörer durch die Handlung zu führen. Und ich finde den Hinweis von Interplanar sehr wichtig, dass diese Form des Erzählens schnell auf Kosten der Unmittelbarkeit des Hörerlebnisses gehen kann, denn der Hörer wird ja bewusst aus dem Geschehen gerissen. Demgegenüber, wenn die ganze Geschichte bloß erzählt wird und nur vereinzelt szenische Einsprengsel eingefügt wurden, wie etwa oft beim Gruselkabinett, kann es dazu führen, dass man gar nicht erst richtig in die Geschichte hineingezogen wird, sondern sehr weit auf Abstand bleibt und gefühlsmäßig eher neutral ist.

      Eingebundene Erzähler sind natürlich nochmal etwas anderes, zumal wenn sie identisch sind mit einer der handelnden Personen. Da kann die Einbindung sogar noch ein Mehr an Intensität bringen, gerade weil auf diese Weise die Gedanken und Gefühle eingebracht werden können. Das sollte aber nicht zu inflationär gebraucht werden. Bei Mark Brandis waren die Einschübe von Brandis immer besonders stark. Aber die dienten ja auch nicht dem Zweck, drei Seiten Buchvorlage zusammenzufassen, sondern ganz pointiert das Innenleben des Protagonisten offenzulegen. Insofern freue ich mich auf Vergleichbares bei UAES.

      Gabriel Burns ist für mich ein Sonderfall. Zwar nimmt dort der Erzähler sehr viel Raum ein, aber selbst in den Anteilen, in denen er viel schildert, setzt sich die Handlung quasi fort. Es ist so inszeniert, dass sich die Stimme des Erzählers über die Handlung legt und ich als Hörer nicht den Eindruck habe, dass er sie ersetzt, sondern sie vielmehr "durchdringt". Das ist für mich hunsichtlich des "Wie" eine sehr spezielle und beinahe einzigartige Weise des Erzählereinsatzes, die Sassenberg da etabliert hat, und der großartige Jürgen Kluckert bringt so viel Tiefe und Atmosphäre mit seiner Form des Ausdrucks in die Hörspiele, dass man gerade dadurch teilweise noch tiefer in die Handlung gesogen wird. Für mich die große Ausnahme von der Regel.
    • Ich würde auch sagen: Es muss zum Hörspiel passen. Es gehört viel Können dazu ein gutes Hörspiel ohne Erzähler zu schreiben, gleichzeitig kann man auch einen Erzähler sehr gut und kreativ einsetzen. Das ist in gewisser Weise ein Vorteil des Hörspiels. Es ist beides möglich.
    • Einige Fitzek-Hörspiele von audible haben einen hohen Erzähleranteil.

      Bei John Sinclair von Tonstudio Braun kommt das vereinzelt auch vor. Von der Serie kenne ich bisher allerdings erst ein paar Folgen. In meiner Kindheit und Jugend ist die Serie an mir vorbei gegangen. Es war so bei Folge 2 und Folge 7 oder 8.

      Bei Fitzek hat es mich nicht sonderlich gestört, bei John Sinclair TSB jedoch schon.

      Ich ahne, woher Hardenberg das Beispiel mit dem dunklen Schatten und dem Messer - also vom Prinzip her - hat. :whistling: :smile:
    • BjoernErik schrieb:

      Es gehört viel Können dazu ein gutes Hörspiel ohne Erzähler zu schreiben, (...)

      Alles eine Frage der Perspektive. Ich würde eher sagen: Es gehört viel Können dazu ein gutes Hörspiel mit Erzähler zu schreiben.

      Als ich angefangen habe, Hörspiele zu schreiben, war das Lady Bedfort ohne Erzähler. Danach kamen dann Pater Browns und Mimi Rutherfurts mit Erzähler. Und ich habe bis heute noch kein wirklich sicheres Gefühl dafür, wann ein Erzähler Stimmung aufbaut und wann er die Handlung eher bremst.
      "Was sagt man darüber, wie man Bücher schreibt? Man denkt sich etwas aus und zwingt sich, es aufzuschreiben."

      Ariadne Oliver, Poirot: Wiedersehen mit Mrs. Oliver
    • "Show, don´t tell", was ich - seit ich den Spruch dank der Kammer gelernt hab - mit unschöner Regelmäßigkeit den Hörspielen bzw. dem Handy entgegenrufen muss, hat meiner Meinung nach nix mit "Erzähler oder nicht" zu tun. Sondern mit den extrem ungelenken Selbstgesprächen oder - genauso doof - wenn sich zwei Figuren gegenseitig erzählen, was vor ihren Augen gerade passiert.

      Nächste Woche dann Teil 2, die "Expositions Challenge" :D

      Scherz bei Seite, es ist schon erstaunlich, wie wenig lernfähig manche Hörspielmacher auch im Jahre 2020 noch sind. Aber schön, dass es jetzt einen Thread gibt, in dem man das bei Bedarf anprangern kann.

      Das obige "Oh, schau, da kommt jemand, ein dunkler Schatten - es ist ein Mann, und er hat ein langes Messer in der Hand. O nein, er hebt das Messer und rammte es mir - argh!, in den Bauch. Ich sterbe!" ist ja eigentlich gar keine Überzeichnung, kommt fast genauso ständig vor.
      "The period of the Daddschals dominion is generally set at forty days, the first day being like a year, the second like a month, the third like a week, and the remainder “like your days,” that is, days of normal duration (Kašmīrī, p. 112)"
    • GrimReaper schrieb:


      Das obige "Oh, schau, da kommt jemand, ein dunkler Schatten - es ist ein Mann, und er hat ein langes Messer in der Hand. O nein, er hebt das Messer und rammte es mir - argh!, in den Bauch. Ich sterbe!" ist ja eigentlich gar keine Überzeichnung, kommt fast genauso ständig vor.

      Da bin ich aber froh, dass ich ein Ausweich-Gen für solche Hörspiele zu haben scheine. Mir begegnen solche Sachen kaum. Ich höre aber auch einiges mit Bedacht nicht. ^^
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • Das wäre doch mal eine tolle Figur für eins der nächsten Abenteuer der Ferienbande: Der Mann der ständig Selbstgespräche führt. Aber nicht für den hier genannten Zweck sondern um einfach zu nerven. =) :laber: Wobei es ja für den Zweck schon manche nervt. Nach dem stillen Jungen aus Folge 1 nahezu ein Muss für die Macher der Ferienbande!

      :totlach2:
    • Das liegt bestimmt daran, dass Du, @gruenspatz, über ein so exzellentes Gespür verfügst, dass Du gar nicht erst zu solchen Hörspielen greifst. :zwinker:

      Aber wenn @GrimReaper und ich uns so uneingeschränkt einig sind, dann kann nur etwas dran sein! :green:
      Und natürlich, natürlich, natürlich, ich betone es gern nochmal, hängt es nicht an der grundsätzlichen Rolle des Erzählers. Den kann man - zumal theoretisch - sicherlich auch geschickt einsetzen. Es gibt ja auch Beispiele. Einige meiner Lieblingshörspiele verfügen über einen Erzähler - Ernst Jacobi in Das Bildnis des Dorian Gray, Friedhelm Ptok in Macbeth -, da könnte man sicher auch bis ins kleinste Detail hinunter diskutieren, ob da jeder Satz hätte sein müssen, aber die Grundtendenz und vor allem auch die Wirkung auf mich als Hörer stimmt, und vor allem findet sich da kein reines Umsetzen von langen Erzählpassagen aus den Vorlagen.

      Und gerade da stimmt doch die Differenzierung, die GrimReaper vornimmt: Es ist in erster Linie Ausdruck eines Mangels, wenn das threadtitelgebende Prinzip über Gebühr missachtet wird. Ich denke zwar tatsächlich, dass ein Erzähler in Hörspielen, zumal ein nichtpersonaler, immer auch irgendwie eine Ausflucht aus einer naheliegenden Problematik beim Verfassen eines Hörspielskriptes ist, aber natürlich kann man das auch elegant lösen.
      Aber die in der Breite der kommerziellen Hörspiele ist dieses Problem, so denke ich, tatsächlich weit mehr als eine Ausnahme.
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