Spoiler-freie Rezension von GHOSTBOX - Ivar Leon Menger

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    • Spoiler-freie Rezension von GHOSTBOX - Ivar Leon Menger

      Ok, ich wage mich nun an eine schwierige Sache. Eine spoiler-freie Besprechung von Ghostbox, dem neuen Hoerspiel von Ivar Leon Menger, der uns ja schon mit Monster 1983 ein wunderbares Hörspiel (in drei Staffeln) erschaffen hat. Hier kann also jeder reinlesen, ohne dass ich hier Sachen verrate, die einem dem Hörspaß nehmen würden. Hier bleibt es also Spoiler-frei. Ein Teil der Faszination dieses Hörspiels ist die Ungewissheit, worum es eigentlich geht und deshalb will ich darauf hier auch gar nicht eingehen um Euch den Hörgenuss zu lassen.



      Ich fange mal mit einer klaren Aussage an: Mich hat seit MacBeth (mein bestes Hörspiel aller Zeiten) kein Hörspiel so fasziniert, so emotional mitgenommen, von der Machart so begeistert und mit seiner Geschichte und seinen tragischen Personen so gebannt wie Ghostbox. Ein Hörspiel wie Ghostbox gibt es nur alle 5-10 Jahre einmal und ich freue mich, dass ich einen weiteren Meilenstein des Hörspiel hören durfte.

      Ich habe das schon ziemlich am Anfang bemerkt. Die Geschichte hat mich mit seinen interessanten und komplexen Personen und deren Tragik und Leid von Anfang an total emotional und intellektuell abgeholt und mich ganz tief in die Geschichte gezogen und dann wie in einer Achterbahnfahrt mit heftigen Wechsel in der Richtung bis zum fulminanten Ende geleitet und dann sprachlos zurückgelassen, da ich diese Fülle an Emotionen und Eindrücke erstmal sacken lassen musste. Die Geschichte ist unheimlich perfekt durchdacht und von der Tragik her erinnerte es mich an ein Shakespeare Drama. Die Geschichte macht Sinn, und ich konnte nicht vorhersehen, wohin die Reise geht, und immer wenn ich dachte, ich wüsste es, dann gibt es wieder einen glaubwürdigen Schwenk in eine andere Richtung. Und egal wie verschachtelt das Ganze ist, es macht alles Sinn.

      Dann die Inszenierung: Dieses Hörspiel wirkt so modern in der Machart, dass es erscheint als ob es aus der Zukunft ist. Die Leichtigkeit des Erzählens einer so komplexen Geschichte zeigt das man hier sein Handwerk perfekt versteht. Die Personen sind alle so interessant gezeichnet. Keiner ist perfekt und alle sind vielschichtig und mehrdimensional. Alle haben ihre Kanten und Schicksale und während des Hörens weiß man nicht wem man trauen kann und was jeder verbirgt. Und jeder ist irgendwie anders und spielt auch anders, so dass man die Personen gut unterscheiden kann. Wenn selbst die Beziehung eines Kommissars zu einer Prostituierten den Hörer emotional mitnimmt, dann sieht man schon, wie stark dieses Hörspiel ist.

      Dieses Hörspiel ist ein perfektes Beispiel, warum ein Hörspiel auch ohne Erzähler funktionieren kann. Ok, es hat einen Erzähler, Juergen Kluckert, aber die einzigen Worte, die er sagt, ist ganz am Anfang von jeder der 10 Folgen „Ivar Leon Menger’s Ghostbox – Folge 1“ und dann ganz am Ende liest er die Namen der Schauspieler (was ich in jedem Hörspiel hören möchte). Aber davon abgesehen wird hier kein Erzähler benutzt und man vermisst ihn auch nicht. Trotzdem ist alles recht leicht zu verstehen. Die wichtigen Sachen die man als Hörer nicht sehen kann, werden halt geschickt und natürlich in den Gesprächen erwähnt (aber nicht klobig sondern ganz elegant gemacht). Also hier sieht man mal wieder, dass ein sehr guter Regisseur keinen Erzähler braucht sondern die Handlung auch ohne ihn klar erzählen kann. Hut ab!

      Zu den Sprechern will ich gar nicht viel sagen und ich will die hier gar nicht alle auflisten. Ein geniales Ensemble, das mit totaler Leidenschaft spielt und von Menger als Regisseur perfekt geleitet wird. Die Charaktere in dieser Geschichte sind komplex und haben oft einiges an Ballast in ihrer Vergangenheit. Es gibt hier viel Tragik in den Personen und die Sprecher bringen das perfekt rüber. Es gibt viele sehr bekannte Namen bis in die kleinsten Nebenrollen. Und so gegen Ende gibt es noch einige interessante Cameoauftritte von bekannten Personen, die super eingebunden sind.

      Dieses Hörspiel ist dunkel und voller Tragik und Leid was einen auch nachdenklich macht. Dieses ist kein Hörspiel, das man sich anhört um zu lachen. Man leidet mit den Personen mit. Es gibt ein paar (aber sehr wenige) Szenen, in denen man lachen kann, aber ansonsten ist dieses eine sehr dunkle Geschichte.

      Ein besonders genialer Schachzug der Geschichte ist, dass es vor allem in der zweiten Hälfte des Hörspiels einige Szenen nochmal vorkommen aber aus einer anderen Sichtweise. Stellt euch vor, wir sehen zwei Personen, die gerade an der Tür klingeln und eine Person macht die Tür auf und es kommt zu einem Gespräch. Dann viel später kommt die Szene nochmal vor, und man erfährt, was die Person aus dem Haus vorher gemacht hat, und mit wem er vorher gesprochen hat und wer dem Gespräch heimlich aus dem Haus zuhört. Das gibt der Geschichte eine besondere Tiefe und wenn das dann alles logisch zusammenpasst und es im Gehirn klick macht, dann ist das ein besonderes Hörvergnügen. Und es gibt einige dieser doppelt gespielten Szenen, die mich fast ein wenig an Zurück in die Zukunft erinnert haben (ich will hier aber nicht andeuten, dass es hier Zeitreisen gibt, das ist nicht der Fall). Aber dieselbe Szene nochmal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, ist storytechnisch einfach genial und wirkt mehrdimensional. Man braucht vor allem im letzten Drittel schon ganze Aufmerksamkeit, um die vielen Wechsel zu folgen. Und dann natürlich die Ghostbox selber, zu der ich aber nicht viel sagen werde, da dies ja Spoiler-frei bleibt. Aber wie die Ghostbox im Hörspiel umgesetzt wurde ist schon genial und das habe ich so noch nicht im Hörspiel gehört.

      Ich freue mich auf ein zweites Hören, da ich nun die Geschichte ganz anders angehen kann und auf frühe Hinweise achten kann. Mal schauen ob ich die dann heraushören werde. Ich habe jedenfalls beim ersten Hören keinen Schimmer, wie die Geschichte sich entwickeln wird oder wie sie ausgehen wird.

      Hintergrundgeräusche und Musik. Ich fand die Einbindung der Musik perfekt getimed und passend ausgewählt und es fühlte sich wie schon gesagt, anders und modern an. Hier werden perfekt schon vorhandene Songs eingespielt. Z.B. beim Eintreten in den Blumenladen in Track 9. Und das sind bekannte Lieder welche die Emotionen in dem Moment perfekt unterstreichen. Oder wenn 2 Personen im Café sitzen, dann spielt da auch Musik im Hintergrund. Und dann natürlich die Spieluhr. Die wird wohl nie mehr aus den Ohren rausgehen.

      Ein guter Kniff ist auch, dass es in den Szenen nicht zu viele Personen gibt. Oft sind es nur zwei oder maximal drei Personen. Das macht es leicht, der Handlung zu folgen und zu verstehen wer nun wer ist.

      Auch sehr gut, wie hier Nachrichten hin und wieder eingebunden werden (mit einem echten Nachrichtensprecher der ARD).

      Das Hörspiel hat auch sehr starke weibliche Charaktere. Insgesamt wirkt das Hörspiel sehr modern. Jeder Hörspielschreiber oder Regisseur sollte sich dieses Hörspiel anhören und Inspirationen einholen.

      Die Geschichte ist aber nicht nur super spannend und fesselnd, sondern fordert uns als Hörer aber auch intellektuell und emotional heraus mit ethischen, moralischen und technischen Fragen, die uns alle bewegen sollten, ohne groß mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen. Es werden auch keine direkten Antworten auf diese Fragen gegeben, sondern wir werden angeregt selber darüber nachzudenken. In großen Zügen, hat mich dieses Hörspiel mit seinen vielen dramatischen Figuren voller Schicksale an ein Shakespeare Drama erinnert. Hier ist so viel Drama drin und es gibt so viele emotional schockierende Momente, die mir wahrscheinlich nie mehr aus dem Kopf gehen werden.

      Wie schon gesagt, hier hat Ivar Leon Menger nicht nur die Messlatte für das Hörspiel des Jahres ganz hoch gelegt (ich glaube kaum, dass die dieses Jahr noch jemand reißen wird). Für mich ist dieses Hörspiel eine Erfahrung gewesen, die ich nur sehr selten im Hörspiel mache. Beim Hören von MacBeth war das so. Oder Der Name der Rose. Ich weiß nicht, ob Ghostbox MacBeth vom Thron stoßen kann. Dazu sind die Eindrücke noch zu frisch und ich muss Ghostbox dazu noch einmal hören und noch ein bisschen sacken lassen. Aber in meiner Top 3 der besten Hörspiele aller Zeiten liegt es wohl bei mir.

      Herr Ivar Leon Menger, ich verneige mich in Respekt vor ihrer Leistung als Serienschöpfer der sowohl diese geniale Geschichte erdacht und dann auch noch perfekt als Regisseur umgesetzt hat. Monster 1983 war schon genial aber Ghostbox ist Menger’s Meisterwerk, für das er in den Hörspielolymp gehört. Großartiges Hörspielkino welches den Hörer auf eine 10,5 Stunden lange emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt und einen dann sprachlos und zutiefst begeistert zurücklässt.

      Dieses Hörspiel ist ein Muss für jeden Hörspielfan. Greift zu! Es gibt im Moment nichts Besseres. Es wird schwer sein, im Anschluss an dieses Hörspiel andere Hörspiele zu hören. Ich hatte diese Erfahrung schon nach MacBeth. Nach dieser totalen Hörspielerfüllung in so vielen Ebenen wirken andere Hörspiele schal und eindimensional.

      10,5 Stunden voller wahnsinniger Unterhaltung. Ich habe ca. eine Woche gebraucht und ca. 2 Stunden pro Tag gehört (und die Folge 5 habe ich zweimal gehört). Das Hörspiel ist in 10 Teile eingeteilt, die in insgesamt 39 Tracks erzählt werden. Das Cover ist auch total faszinierend. Schade nur, dass es bei Audible keine PDF Datei mit den Sprechern gibt. Das hat Audible bei manchen Hörspielen, hier leider nicht.

      Dieses Hörspiel wird als Staffel 1 betitelt. Es kann also sein, dass wir eine zweite Staffel sehen werden und da das Hörspiel schon am ersten Tag auf Platz 1 der Audible Charts war, ist die Chance dafür wohl sehr gut. Ob man so einen Meilenstein nochmal wiederholen kann, mag ich zu bezweifeln. Aber ich könnte mir schon vorstellen, was man in Staffel 2 erzählen könnte. Ich hoffe, es geht weiter.

      ZUSAMMENFASSUNG: Ein geniales Meisterwerk! Eine mitreißende, innovative Geschichte wird hier perfekt und modern inszeniert und nimmt den Hörer mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, die den Hörer am Ende sprachlos und voller Begeisterung zurücklässt. So ein perfektes Hörspiel gibt es nur alle 5-10 Jahre einmal.

      Ich gebe hier 11 von 10 Sternen. Ich gebe 10 Sterne schon mal für ein wunderbares Hörspiel aber alle paar Jahre gibt es ein Juwel, dass über alles andere herausragt und Ghostbox ist so ein Hörspiel. Es reiht sich ein neben MacBeth und Der Name der Rose als eines der besten Hörspiele aller Zeiten und ich sage das nicht häufig. Seit MacBeth gab es kein besseres Hörspiel als Ghostbox.

      :st: :st: :st: :st: :st: :st: :st: :st: :st: :st: I :st: (11 von 10 - Meisterwerk)
    • Ich :danke: Dir sehr für diese ausführliche und wirklich detaillierte Rezi :blume: , lieber @Cherusker, vor allem, da Du es tatsächlich geschafft hast, nicht zu spoilern, einen aber sehr neugierig auf das Ganze zu machen!

      Ist diese Staffel 1 denn in sich abgeschlossen, und man könnte zwar eine weitere, ähnliche Handlung anhängen, bräuchte diese aber nicht, um die erste zu vollenden? Habe ich Dich da richtig verstanden?
      Solche Dinge sind für mich auch immer ganz interessant zu wissen, wobei man sich um die Realisierung einer zweiten Staffel via Audible ja nun eigentlich keine Sorgen machen muss. :)
    • Wow, was für eine Mühe Du Dir wieder gemacht hast! Und was für ein tolles Fazit. Das steigert die Vorfreude noch.

      Ich habe bisher erst in Folge 1 reingehört, und die fand ich bisher nett, auch wenn ich die Protagonistin schon sehr selbstbezogen und divenhaft finde. Aber ich bleibe sicher am Ball. :]

      Nach Deiner Rezi erst recht.
    • Vielen Dank @Cherusker für diese mal etwas andere Rezension. Denn ohne Spoiler ist es schon schwierig. Aber gerade deshalb super zu lesen.

      Ich habe Ghostbox letztes Wochenende ja schon gehört und kann deinen Ausführungen zu 100 % zustimmen. Das Hörspiel hat mich genauso emotional mitgenommen und ich habe auch bis zum Schluss gerätselt, wo die Reise hingeht. Beim Hören selbst habe ich mich auch manchmal gezwungen, eine kurze Pause zu machen. Erstmal, um meine Konzentration wieder zu sammeln, weil das Hörspiel sehr viel davon verlangt und zum Zweiten, weil ich es so lange wie möglich genießen wollte. Eigentlich wollte ich wissen, wie es weitergeht, aber auf der anderen Seite wollte ich das Ende noch gar nicht wissen, weil das Hörspiel so fantastisch war. Schwierig zu beschreiben, ich hoffe, man kann es verstehen.

      Das Stilmittel der Wiederholungen einzelner Szenen, um auf die Sichtweise der anderen Person hinzuweisen, fand ich genial. Hatte da so etwas wie ein Déjà-vu-Gefühl. Bleibt besonders in Erinnerung.

      Ivar Leon Menger ist mittlerweile schon so etwas wie ein "Hörspielgott", für mich zumindest. Der Mann kann einfach Hörspiel. :bow:

      :moin2:
    • Agatha schrieb:

      Ich :danke: Dir sehr für diese ausführliche und wirklich detaillierte Rezi :blume: , lieber @Cherusker, vor allem, da Du es tatsächlich geschafft hast, nicht zu spoilern, einen aber sehr neugierig auf das Ganze zu machen!

      Ist diese Staffel 1 denn in sich abgeschlossen, und man könnte zwar eine weitere, ähnliche Handlung anhängen, bräuchte diese aber nicht, um die erste zu vollenden? Habe ich Dich da richtig verstanden?
      Solche Dinge sind für mich auch immer ganz interessant zu wissen, wobei man sich um die Realisierung einer zweiten Staffel via Audible ja nun eigentlich keine Sorgen machen muss. :)
      Sehr gern geschehen.

      Die Handlung ist vollkommen abgeschlossen und wenn da keine zweite Staffel kommt, fehlt da auch nichts. Es gibt aber ein oder zwei Aspekte, wie die Geschichte endete, die man gut zum Thema einer zweiten Staffel machen könnte und wie man die Geschichte weiter erzählen könnte. Muss man aber auch nicht.