Vor ein paar Tagen hörte ich ausnahmsweise mal in die neue Ausgabe der Hörspiel-Jury. Ausnahmsweise deshalb weil mich meist die behandelten Hörspiele nicht interessieren, ich sie nicht kenne und mir in der Vergangenheit auch einige der Argumente nicht nachvollziehbar waren; so blieben die Besprechungen für mich meist Geschmacksurteile von Leuten, zu denen ich keinen sachlichen Bezug hatte. Was den persönlichen Mehrwert für mich vermissen ließ. Außerdem trifft der doch etwas bemüht klingende Humor nicht meinen Geschmack. Aber sei es drum: Vor ein paar Tagen hörte ich doch in die Ausgabe, die sich mit der gerade erst erschienenen Episode Die Ratten in den Wänden aus der Reihe Gruselkabinett beschäftigte, und ich durfte feststellen, dass im Zuge dessen eine Thematik angeschnitten wurde, die auch ich hin und wieder hier im Forum angesprochen habe und die mich doch so sehr interessiert, dass ich sie gern mal in einen eigenen Thread stellen und zur allgemeinen Besprechung freigeben würde.
Es ging nämlich auch kurz um die Frage, wie ein Stoff, den es zuvor schon in Schriftform, also als Roman oder Kurzgeschichte oder auch als Theaterstück gegeben hat, optimal zu verhörspielen sei, ob er sich sklavisch an der Vorlage halten müsse oder ob es gestattet sei, ihn so zu bearbeiten, dass er optimal ins Medium Hörspiel transportiert wird.
Und wenn man zu dem Schluss kommt, dass eine Bearbeitung sinnvoll ist: Wie kann und soll und darf sie aussehen? Gibt es Grenzen dessen, was akzeptabel ist, und wenn ja: wo sind diese zu verorten?
Ich selbst kritisiere ja oft, etwa beim Gruselkabinett, die Auswirkungen dessen, was ich "Kleben an der Vorlage" nenne. Wenn dann die Vorlage einen sehr hohen Erzähleranteil hat, wird dieser entweder zu großen Teilen übernommen oder die Erzähleranteile in lange Dialoge transferiert, denen aber meist eine echte Dynamik fehlt, weil man ihnen anmerkt, dass sie an dieser Stelle allein die Funktion haben, den Erzähltext bzw. die in ihm enthaltenen Informationen rüberzubringen.
Nun ist es so, dass Buch und Hörspiel nun einmal unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen und was im einen Medium vielleicht gut funktioniert, erscheint im anderen völlig unpassend. Beim Gruselkabinett habe ich bereits häufiger feststellen müssen, dass es sich dort für meinen Geschmack genau so verhält. Und das führt dann hin und wieder dazu, dass Vorlagen, die eigentlich beste Voraussetzungen mitbringen, verhörspielt zu werden, dann ziemlich zäh und langatmig umgesetzt werden, weil man entweder viel zu dicht bei der Vorlage bleibt oder sich in meinen Augen zu wenig Mühe bei einer hörspielgerechten Umsetzung gibt. Und meist ist das eben nicht eine Frage der gewählten Musik oder des Sounddesigns oder der Sprecherinnen und Sprecher, sondern allein des Skripts, das ganz einfach eine überzeugende szenische Umsetzung mit funktionierender Dramaturgie vermissen lässt.
Natürlich sind die Sprecherinnen und Sprecher und mit ihnen die Dialoge wesentlicher Bestandteil eines Hörspiels. Doch allein über Erzählertexte, Dialoge und Selbstgespräche lässt sich eine Handlung oft nicht gut transportieren. Es gehört mehr dazu. Szenen, in denen auch agiert wird, in denen sich bewegt, in denen etwas entdeckt, in denen interagiert wird. Wie auch Dialoge nicht bloß Geräusche sein sollten, die die Stille durchbrechen, oder reines Hilfsmittel, um Informationen zu transportieren, sondern gleichzeitig Interaktion zwischen den Charakteren, in denen sich Widersprüche, gegensätzliche Motivationen usw. offenbaren.
Ich nenne es oft den Geist der Vorlage, der gewahrt bleiben muss. Und das ist für mich der Königsweg bei einer Umsetzung.
Wer eine Originalgeschichte als Originalgeschichte haben möchte, sollte selbst zum Buch greifen oder ein Hörbuch wählen. Er sollte aber nicht von einem Hörspiel erwarten, dass es eine Art inszenierte Höbuchlesung ist, bei dem der Originaltext unangetastet bleibt und die Dialoganteile von verschiedenen Sprechern vorgetragen werden.
Ein Hörspiel ist nun mal ein HörSPIEL. Das heißt, es ist ein Plot in SPIELhandlung umgesetzt, also: szenisch aufbereitet worden.
Und es kann nicht nur sinnvoll sein, die Handlung der Vorlage zu verändern, sondern geradezu zwingend.
Interessanterweise wurde in der oben erwähnten Ausgabe der Hörspiel-Jury ausgerechnet die Gruselkabinett-Umsetzung von Berge des Wahnsinns als Beispiel für eine misslungene, weil sinnentstellende Umsetzung genannt. Dabei empfinde ich gerade hier die Veränderungen in Teilen geradezu genial und vorbildlich. Und ich will auch gern darstellen, warum. In der Vorlage von Lovecrafts Geschichte - und ich muss gestehen, dass ich kein Fan seiner Prosa bin - wird der ganze Plot in einem langen, pseudowissentschaftlich formulierten Bericht transportiert, der wenig Raum für atmosphärisch dichte Szenen liefert. Die einzelnen Charaktere bleiben völlig blass und konturlos, weil Lovecraft sich dazu entscheidet, mehr die allmähliche Offenlegung des fremden Lebens aus Sicht eines Forschers darzustellen, als die Personen plastisch werden zu lassen. (Wie man dies von einem Wissenschaftler ja auch erwarten würde, denn dieser schweift in seinem Bericht ja gewöhnlich auch nicht aus, um die einzelnen Expeditionsteilnehmer näher vorzustellen.) Nun halte ich die Vorlage nicht gerade für eine Meisterleistung an Spannung und Thrill, aber das Gefühl der Beklemmung erwächst ansatzweise aus dem Umstand, dass der kühl-wissenschaftliche Duktus es möglich erscheinen lässt, dass dort draußen im ewigen Eis wider Erwarten doch noch etwas Rätselhaftes verborgen ist, das nun zum Leben erwacht und eine grausige Vergangenheit wiedererweckt. Zur Zeit des Erscheinens, als man noch so gar nicht über all die Gebiete wusste, die außerhalb der menschlichen Vorstellung lagen, die Antarktis etwa oder auch die Weiten des Weltalls, mag sich die Bedrückung dieses Nichtwissens noch weitaus deutlicher vermittelt haben - und der nüchterne Ton, in dem die Erzählung verfasst ist, hat das Ganze sicher noch realistischer oder sagen wir: wahrscheinlicher erscheinen lassen.
Aber heute leben wir in einer ganz anderen Zeit. Wir haben einen ganz anderen Erfahrungshorizont, ganz andere Gewohnheiten, was unseren Konsum außergewöhnlicher Geschichten anbelangt. Es wäre völlig witzlos gewesen, den pseudowissenschaftlichen Stil der Vorlage zu imitieren - mehr noch: das wäre wohl eher ein wenig lächerlich rübergekommen (ebenso lächerlich wie das Techno-Gequatsche bei 20.000 Meilen unter dem Meer aus derselben Reihe, wo man keine Sekunde lang dem Umstand Rechnung trägt, wie absurd die Ausführungen heute doch klingen müssen). Deswegen hat man sinnvollerweise gar nicht erst versucht, das wahre Leben, die wahre Wissenschaft zu kopieren, sondern ist direkt in die Handlung eingetaucht - und hat mit der Umgestaltung der Figur des Dr. Lake in eine Frau ausnahmsweise mal genau das Richtige getan, was ich sonst so sehr bei dieser Reihe vermisse: Man hatte den Mut, sie mit einem echten Hintergrund auszustatten, sie tatsächlich zu einem Charakter werden zu lassen - und sie dann auch noch so auszustatten, dass mit ihrem Auftreten eine Dynamik im Zusammenhang mit dem eigentlichen Protagonisten entsteht , durch die allein die überlange Exposition überhaupt erträglich wird. Denn bis zu ihrem Auftauchen proben Dyer und Pabody mal wieder das altbekannte Pingpong-Spiel mit Dialogen, die aus nichts bestehen als dem endlosen Einander-Ergänzen und Einander-Bestätigen - schnarch!
Mit Leni Lake wird das völlig aufgebrochen, und dazu noch die Lovecraft'sche Welt, wie sie sich oft darstellt, nämlich sehr männlich dominiert (was der Zeit geschuldet sein mag), noch auf eine sehr unterhaltsame und augenzwinkernde, aber niemals lächerliche oder alberne Art hinterfragt. (Und die Ausgestaltung der Figur Dr. Lakes nutzt die Leerstellen der Vorlage und füllt sie, verändert nach meinem Empfinden aber eben nicht den Gesot der Vorlage, sondern bereichert ihn.) Ich habe das immer als guten Schachzug empfunden, vor allem weil Lake dadurch sehr viel an Kontur gewinnt und man später richtig um sie bangt - was man in der Vorlage keine Sekunde macht, weil Lake dort einfach nur ein Name ist und mehr nicht.
Gut, die Liebesgeschichte zwischen Danforth und Leslie hätte nicht unbedingt sein müssen, aber auch hier kann ich das Motiv nachvollziehen und finde es ausdrücklich aller Ehren wert: Gruppe wollte durch dieses Paar die emotionale Beteiligung des Zuhörers für die Geschehnisse, die ja in der Ferne ablaufen, erhöhen, indem er einen emotionalen Konflikt einführt. Problematisch ist für mich deswegen auch nicht, dass er es macht, sondern wie er das tut, denn er wendet für all das nicht viel Raum auf (was verständlich ist, um nicht die Handlung endlos zu zerdehnen), bleibt in seiner Schilderung darum aber viel zu oberflächlich, was diese aufkeimende Liebe doch recht kitschig und abgeschmackt erscheinen lässt. Und Kitsch passt nun mal nicht gut ins Lovecraft'sche Universum.
Was ich damit sagen will: In meinen Augen ist gerade mit dieser Veränderung der Geist der Vorlage hervorragend transportiert worden, und die Geschichte wäre, hätte man sie ganz genau im Stil der Vorlage umsetzen wollen, wohl mit ziemlicher Sicherheit missraten, davon bin ich überzeugt. So aber ist diese Geschichte sehr stimmungsvoll und atmosphärisch, auch wenn die Liebesgeschichte kitschig und darum unpassend ist und der erste Teil deutlich zu lang geraten.
Problematisch kann ja auch sein, wenn Vorlagen nicht im Hier und Jetzt spielen, sondern zu einer anderen Zeit.
Muss man zwangsläufig bei einer Umsetzung die Zeit übernehmen, die in der Vorlage angegeben ist, oder ist es legitim, den Plot in eine andere Zeit zu versetzen?
Für mich gilt hier: Es kommt drauf an, ob der Geist der Vorlage dies zulässt. Gewöhnlich ist eine Geschichte Kind der Zeit, in der sie spielt, darum mag es in den meisten Fällen beinahe Pflicht sein, sie auch dort spielen zu lassen - zumal dann natürlich wenn sich die betreffende Geschichte aufgrund der technischen Möglichkeiten der Gegenwart so gar nicht mehr erzählen ließe.
Aber wenn die Vorlage es hergibt, wenn es sie vielleicht sogar bereichert, dann kann es durchaus sinnvoll sein, dies zu tun.
Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Wirkung von literarischen Stoffen oft einen deutlichen Zeitbezug hat, dass Autoren oft auch mit den Grenzen des (damaligen) Wissens gespielt haben, wenn sie Wendungen einstreuten, die mit der Erwartung des Lesers spielten. Einiges davon, was damals völlig neu war, ist heute vielleicht längst zum Klischee geworden und überraschte gar nicht mehr, also wäre eine haargenaue Umsetzung unter Umständen gar nicht im Sinne des Geistes einer Vorlage, sondern sogar das genaue Gegenteil, weshalb man gut daran tun kann, hier etwas zu verändern.
Mir fallen da vor allem die Wells-Vertonungen von Oliver Döring ein, die mir, was das angeht, sehr gut gefallen haben.
Aber genug einstweilen von meinen Ergüssen...
Wie seht Ihr das?
Was darf, was kann, was muss eine gute Hörspiel-Umsetzung?
Und was darf, was kann, was muss sie eben nicht?
Welche Umsetzungen fallen Euch ein, die besonders gut gelungen sind?
Und welche sind eher abschreckendes Beispiel?
Ich wäre an Euren zahlreichen Meinungen sehr interessiert.
Es ging nämlich auch kurz um die Frage, wie ein Stoff, den es zuvor schon in Schriftform, also als Roman oder Kurzgeschichte oder auch als Theaterstück gegeben hat, optimal zu verhörspielen sei, ob er sich sklavisch an der Vorlage halten müsse oder ob es gestattet sei, ihn so zu bearbeiten, dass er optimal ins Medium Hörspiel transportiert wird.
Und wenn man zu dem Schluss kommt, dass eine Bearbeitung sinnvoll ist: Wie kann und soll und darf sie aussehen? Gibt es Grenzen dessen, was akzeptabel ist, und wenn ja: wo sind diese zu verorten?
Ich selbst kritisiere ja oft, etwa beim Gruselkabinett, die Auswirkungen dessen, was ich "Kleben an der Vorlage" nenne. Wenn dann die Vorlage einen sehr hohen Erzähleranteil hat, wird dieser entweder zu großen Teilen übernommen oder die Erzähleranteile in lange Dialoge transferiert, denen aber meist eine echte Dynamik fehlt, weil man ihnen anmerkt, dass sie an dieser Stelle allein die Funktion haben, den Erzähltext bzw. die in ihm enthaltenen Informationen rüberzubringen.
Nun ist es so, dass Buch und Hörspiel nun einmal unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen und was im einen Medium vielleicht gut funktioniert, erscheint im anderen völlig unpassend. Beim Gruselkabinett habe ich bereits häufiger feststellen müssen, dass es sich dort für meinen Geschmack genau so verhält. Und das führt dann hin und wieder dazu, dass Vorlagen, die eigentlich beste Voraussetzungen mitbringen, verhörspielt zu werden, dann ziemlich zäh und langatmig umgesetzt werden, weil man entweder viel zu dicht bei der Vorlage bleibt oder sich in meinen Augen zu wenig Mühe bei einer hörspielgerechten Umsetzung gibt. Und meist ist das eben nicht eine Frage der gewählten Musik oder des Sounddesigns oder der Sprecherinnen und Sprecher, sondern allein des Skripts, das ganz einfach eine überzeugende szenische Umsetzung mit funktionierender Dramaturgie vermissen lässt.
Natürlich sind die Sprecherinnen und Sprecher und mit ihnen die Dialoge wesentlicher Bestandteil eines Hörspiels. Doch allein über Erzählertexte, Dialoge und Selbstgespräche lässt sich eine Handlung oft nicht gut transportieren. Es gehört mehr dazu. Szenen, in denen auch agiert wird, in denen sich bewegt, in denen etwas entdeckt, in denen interagiert wird. Wie auch Dialoge nicht bloß Geräusche sein sollten, die die Stille durchbrechen, oder reines Hilfsmittel, um Informationen zu transportieren, sondern gleichzeitig Interaktion zwischen den Charakteren, in denen sich Widersprüche, gegensätzliche Motivationen usw. offenbaren.
Ich nenne es oft den Geist der Vorlage, der gewahrt bleiben muss. Und das ist für mich der Königsweg bei einer Umsetzung.
Wer eine Originalgeschichte als Originalgeschichte haben möchte, sollte selbst zum Buch greifen oder ein Hörbuch wählen. Er sollte aber nicht von einem Hörspiel erwarten, dass es eine Art inszenierte Höbuchlesung ist, bei dem der Originaltext unangetastet bleibt und die Dialoganteile von verschiedenen Sprechern vorgetragen werden.
Ein Hörspiel ist nun mal ein HörSPIEL. Das heißt, es ist ein Plot in SPIELhandlung umgesetzt, also: szenisch aufbereitet worden.
Und es kann nicht nur sinnvoll sein, die Handlung der Vorlage zu verändern, sondern geradezu zwingend.
Interessanterweise wurde in der oben erwähnten Ausgabe der Hörspiel-Jury ausgerechnet die Gruselkabinett-Umsetzung von Berge des Wahnsinns als Beispiel für eine misslungene, weil sinnentstellende Umsetzung genannt. Dabei empfinde ich gerade hier die Veränderungen in Teilen geradezu genial und vorbildlich. Und ich will auch gern darstellen, warum. In der Vorlage von Lovecrafts Geschichte - und ich muss gestehen, dass ich kein Fan seiner Prosa bin - wird der ganze Plot in einem langen, pseudowissentschaftlich formulierten Bericht transportiert, der wenig Raum für atmosphärisch dichte Szenen liefert. Die einzelnen Charaktere bleiben völlig blass und konturlos, weil Lovecraft sich dazu entscheidet, mehr die allmähliche Offenlegung des fremden Lebens aus Sicht eines Forschers darzustellen, als die Personen plastisch werden zu lassen. (Wie man dies von einem Wissenschaftler ja auch erwarten würde, denn dieser schweift in seinem Bericht ja gewöhnlich auch nicht aus, um die einzelnen Expeditionsteilnehmer näher vorzustellen.) Nun halte ich die Vorlage nicht gerade für eine Meisterleistung an Spannung und Thrill, aber das Gefühl der Beklemmung erwächst ansatzweise aus dem Umstand, dass der kühl-wissenschaftliche Duktus es möglich erscheinen lässt, dass dort draußen im ewigen Eis wider Erwarten doch noch etwas Rätselhaftes verborgen ist, das nun zum Leben erwacht und eine grausige Vergangenheit wiedererweckt. Zur Zeit des Erscheinens, als man noch so gar nicht über all die Gebiete wusste, die außerhalb der menschlichen Vorstellung lagen, die Antarktis etwa oder auch die Weiten des Weltalls, mag sich die Bedrückung dieses Nichtwissens noch weitaus deutlicher vermittelt haben - und der nüchterne Ton, in dem die Erzählung verfasst ist, hat das Ganze sicher noch realistischer oder sagen wir: wahrscheinlicher erscheinen lassen.
Aber heute leben wir in einer ganz anderen Zeit. Wir haben einen ganz anderen Erfahrungshorizont, ganz andere Gewohnheiten, was unseren Konsum außergewöhnlicher Geschichten anbelangt. Es wäre völlig witzlos gewesen, den pseudowissenschaftlichen Stil der Vorlage zu imitieren - mehr noch: das wäre wohl eher ein wenig lächerlich rübergekommen (ebenso lächerlich wie das Techno-Gequatsche bei 20.000 Meilen unter dem Meer aus derselben Reihe, wo man keine Sekunde lang dem Umstand Rechnung trägt, wie absurd die Ausführungen heute doch klingen müssen). Deswegen hat man sinnvollerweise gar nicht erst versucht, das wahre Leben, die wahre Wissenschaft zu kopieren, sondern ist direkt in die Handlung eingetaucht - und hat mit der Umgestaltung der Figur des Dr. Lake in eine Frau ausnahmsweise mal genau das Richtige getan, was ich sonst so sehr bei dieser Reihe vermisse: Man hatte den Mut, sie mit einem echten Hintergrund auszustatten, sie tatsächlich zu einem Charakter werden zu lassen - und sie dann auch noch so auszustatten, dass mit ihrem Auftreten eine Dynamik im Zusammenhang mit dem eigentlichen Protagonisten entsteht , durch die allein die überlange Exposition überhaupt erträglich wird. Denn bis zu ihrem Auftauchen proben Dyer und Pabody mal wieder das altbekannte Pingpong-Spiel mit Dialogen, die aus nichts bestehen als dem endlosen Einander-Ergänzen und Einander-Bestätigen - schnarch!
Mit Leni Lake wird das völlig aufgebrochen, und dazu noch die Lovecraft'sche Welt, wie sie sich oft darstellt, nämlich sehr männlich dominiert (was der Zeit geschuldet sein mag), noch auf eine sehr unterhaltsame und augenzwinkernde, aber niemals lächerliche oder alberne Art hinterfragt. (Und die Ausgestaltung der Figur Dr. Lakes nutzt die Leerstellen der Vorlage und füllt sie, verändert nach meinem Empfinden aber eben nicht den Gesot der Vorlage, sondern bereichert ihn.) Ich habe das immer als guten Schachzug empfunden, vor allem weil Lake dadurch sehr viel an Kontur gewinnt und man später richtig um sie bangt - was man in der Vorlage keine Sekunde macht, weil Lake dort einfach nur ein Name ist und mehr nicht.
Gut, die Liebesgeschichte zwischen Danforth und Leslie hätte nicht unbedingt sein müssen, aber auch hier kann ich das Motiv nachvollziehen und finde es ausdrücklich aller Ehren wert: Gruppe wollte durch dieses Paar die emotionale Beteiligung des Zuhörers für die Geschehnisse, die ja in der Ferne ablaufen, erhöhen, indem er einen emotionalen Konflikt einführt. Problematisch ist für mich deswegen auch nicht, dass er es macht, sondern wie er das tut, denn er wendet für all das nicht viel Raum auf (was verständlich ist, um nicht die Handlung endlos zu zerdehnen), bleibt in seiner Schilderung darum aber viel zu oberflächlich, was diese aufkeimende Liebe doch recht kitschig und abgeschmackt erscheinen lässt. Und Kitsch passt nun mal nicht gut ins Lovecraft'sche Universum.
Was ich damit sagen will: In meinen Augen ist gerade mit dieser Veränderung der Geist der Vorlage hervorragend transportiert worden, und die Geschichte wäre, hätte man sie ganz genau im Stil der Vorlage umsetzen wollen, wohl mit ziemlicher Sicherheit missraten, davon bin ich überzeugt. So aber ist diese Geschichte sehr stimmungsvoll und atmosphärisch, auch wenn die Liebesgeschichte kitschig und darum unpassend ist und der erste Teil deutlich zu lang geraten.
Problematisch kann ja auch sein, wenn Vorlagen nicht im Hier und Jetzt spielen, sondern zu einer anderen Zeit.
Muss man zwangsläufig bei einer Umsetzung die Zeit übernehmen, die in der Vorlage angegeben ist, oder ist es legitim, den Plot in eine andere Zeit zu versetzen?
Für mich gilt hier: Es kommt drauf an, ob der Geist der Vorlage dies zulässt. Gewöhnlich ist eine Geschichte Kind der Zeit, in der sie spielt, darum mag es in den meisten Fällen beinahe Pflicht sein, sie auch dort spielen zu lassen - zumal dann natürlich wenn sich die betreffende Geschichte aufgrund der technischen Möglichkeiten der Gegenwart so gar nicht mehr erzählen ließe.
Aber wenn die Vorlage es hergibt, wenn es sie vielleicht sogar bereichert, dann kann es durchaus sinnvoll sein, dies zu tun.
Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Wirkung von literarischen Stoffen oft einen deutlichen Zeitbezug hat, dass Autoren oft auch mit den Grenzen des (damaligen) Wissens gespielt haben, wenn sie Wendungen einstreuten, die mit der Erwartung des Lesers spielten. Einiges davon, was damals völlig neu war, ist heute vielleicht längst zum Klischee geworden und überraschte gar nicht mehr, also wäre eine haargenaue Umsetzung unter Umständen gar nicht im Sinne des Geistes einer Vorlage, sondern sogar das genaue Gegenteil, weshalb man gut daran tun kann, hier etwas zu verändern.
Mir fallen da vor allem die Wells-Vertonungen von Oliver Döring ein, die mir, was das angeht, sehr gut gefallen haben.
Aber genug einstweilen von meinen Ergüssen...
Wie seht Ihr das?
Was darf, was kann, was muss eine gute Hörspiel-Umsetzung?
Und was darf, was kann, was muss sie eben nicht?
Welche Umsetzungen fallen Euch ein, die besonders gut gelungen sind?
Und welche sind eher abschreckendes Beispiel?
Ich wäre an Euren zahlreichen Meinungen sehr interessiert.