Vom Buch zum Hörspiel - Was eine gute Umsetzung ausmacht (und was nicht)

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    • Vom Buch zum Hörspiel - Was eine gute Umsetzung ausmacht (und was nicht)

      Vor ein paar Tagen hörte ich ausnahmsweise mal in die neue Ausgabe der Hörspiel-Jury. Ausnahmsweise deshalb weil mich meist die behandelten Hörspiele nicht interessieren, ich sie nicht kenne und mir in der Vergangenheit auch einige der Argumente nicht nachvollziehbar waren; so blieben die Besprechungen für mich meist Geschmacksurteile von Leuten, zu denen ich keinen sachlichen Bezug hatte. Was den persönlichen Mehrwert für mich vermissen ließ. Außerdem trifft der doch etwas bemüht klingende Humor nicht meinen Geschmack. Aber sei es drum: Vor ein paar Tagen hörte ich doch in die Ausgabe, die sich mit der gerade erst erschienenen Episode Die Ratten in den Wänden aus der Reihe Gruselkabinett beschäftigte, und ich durfte feststellen, dass im Zuge dessen eine Thematik angeschnitten wurde, die auch ich hin und wieder hier im Forum angesprochen habe und die mich doch so sehr interessiert, dass ich sie gern mal in einen eigenen Thread stellen und zur allgemeinen Besprechung freigeben würde.

      Es ging nämlich auch kurz um die Frage, wie ein Stoff, den es zuvor schon in Schriftform, also als Roman oder Kurzgeschichte oder auch als Theaterstück gegeben hat, optimal zu verhörspielen sei, ob er sich sklavisch an der Vorlage halten müsse oder ob es gestattet sei, ihn so zu bearbeiten, dass er optimal ins Medium Hörspiel transportiert wird.

      Und wenn man zu dem Schluss kommt, dass eine Bearbeitung sinnvoll ist: Wie kann und soll und darf sie aussehen? Gibt es Grenzen dessen, was akzeptabel ist, und wenn ja: wo sind diese zu verorten?

      Ich selbst kritisiere ja oft, etwa beim Gruselkabinett, die Auswirkungen dessen, was ich "Kleben an der Vorlage" nenne. Wenn dann die Vorlage einen sehr hohen Erzähleranteil hat, wird dieser entweder zu großen Teilen übernommen oder die Erzähleranteile in lange Dialoge transferiert, denen aber meist eine echte Dynamik fehlt, weil man ihnen anmerkt, dass sie an dieser Stelle allein die Funktion haben, den Erzähltext bzw. die in ihm enthaltenen Informationen rüberzubringen.

      Nun ist es so, dass Buch und Hörspiel nun einmal unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen und was im einen Medium vielleicht gut funktioniert, erscheint im anderen völlig unpassend. Beim Gruselkabinett habe ich bereits häufiger feststellen müssen, dass es sich dort für meinen Geschmack genau so verhält. Und das führt dann hin und wieder dazu, dass Vorlagen, die eigentlich beste Voraussetzungen mitbringen, verhörspielt zu werden, dann ziemlich zäh und langatmig umgesetzt werden, weil man entweder viel zu dicht bei der Vorlage bleibt oder sich in meinen Augen zu wenig Mühe bei einer hörspielgerechten Umsetzung gibt. Und meist ist das eben nicht eine Frage der gewählten Musik oder des Sounddesigns oder der Sprecherinnen und Sprecher, sondern allein des Skripts, das ganz einfach eine überzeugende szenische Umsetzung mit funktionierender Dramaturgie vermissen lässt.

      Natürlich sind die Sprecherinnen und Sprecher und mit ihnen die Dialoge wesentlicher Bestandteil eines Hörspiels. Doch allein über Erzählertexte, Dialoge und Selbstgespräche lässt sich eine Handlung oft nicht gut transportieren. Es gehört mehr dazu. Szenen, in denen auch agiert wird, in denen sich bewegt, in denen etwas entdeckt, in denen interagiert wird. Wie auch Dialoge nicht bloß Geräusche sein sollten, die die Stille durchbrechen, oder reines Hilfsmittel, um Informationen zu transportieren, sondern gleichzeitig Interaktion zwischen den Charakteren, in denen sich Widersprüche, gegensätzliche Motivationen usw. offenbaren.

      Ich nenne es oft den Geist der Vorlage, der gewahrt bleiben muss. Und das ist für mich der Königsweg bei einer Umsetzung.
      Wer eine Originalgeschichte als Originalgeschichte haben möchte, sollte selbst zum Buch greifen oder ein Hörbuch wählen. Er sollte aber nicht von einem Hörspiel erwarten, dass es eine Art inszenierte Höbuchlesung ist, bei dem der Originaltext unangetastet bleibt und die Dialoganteile von verschiedenen Sprechern vorgetragen werden.
      Ein Hörspiel ist nun mal ein HörSPIEL. Das heißt, es ist ein Plot in SPIELhandlung umgesetzt, also: szenisch aufbereitet worden.

      Und es kann nicht nur sinnvoll sein, die Handlung der Vorlage zu verändern, sondern geradezu zwingend.
      Interessanterweise wurde in der oben erwähnten Ausgabe der Hörspiel-Jury ausgerechnet die Gruselkabinett-Umsetzung von Berge des Wahnsinns als Beispiel für eine misslungene, weil sinnentstellende Umsetzung genannt. Dabei empfinde ich gerade hier die Veränderungen in Teilen geradezu genial und vorbildlich. Und ich will auch gern darstellen, warum. In der Vorlage von Lovecrafts Geschichte - und ich muss gestehen, dass ich kein Fan seiner Prosa bin - wird der ganze Plot in einem langen, pseudowissentschaftlich formulierten Bericht transportiert, der wenig Raum für atmosphärisch dichte Szenen liefert. Die einzelnen Charaktere bleiben völlig blass und konturlos, weil Lovecraft sich dazu entscheidet, mehr die allmähliche Offenlegung des fremden Lebens aus Sicht eines Forschers darzustellen, als die Personen plastisch werden zu lassen. (Wie man dies von einem Wissenschaftler ja auch erwarten würde, denn dieser schweift in seinem Bericht ja gewöhnlich auch nicht aus, um die einzelnen Expeditionsteilnehmer näher vorzustellen.) Nun halte ich die Vorlage nicht gerade für eine Meisterleistung an Spannung und Thrill, aber das Gefühl der Beklemmung erwächst ansatzweise aus dem Umstand, dass der kühl-wissenschaftliche Duktus es möglich erscheinen lässt, dass dort draußen im ewigen Eis wider Erwarten doch noch etwas Rätselhaftes verborgen ist, das nun zum Leben erwacht und eine grausige Vergangenheit wiedererweckt. Zur Zeit des Erscheinens, als man noch so gar nicht über all die Gebiete wusste, die außerhalb der menschlichen Vorstellung lagen, die Antarktis etwa oder auch die Weiten des Weltalls, mag sich die Bedrückung dieses Nichtwissens noch weitaus deutlicher vermittelt haben - und der nüchterne Ton, in dem die Erzählung verfasst ist, hat das Ganze sicher noch realistischer oder sagen wir: wahrscheinlicher erscheinen lassen.

      Aber heute leben wir in einer ganz anderen Zeit. Wir haben einen ganz anderen Erfahrungshorizont, ganz andere Gewohnheiten, was unseren Konsum außergewöhnlicher Geschichten anbelangt. Es wäre völlig witzlos gewesen, den pseudowissenschaftlichen Stil der Vorlage zu imitieren - mehr noch: das wäre wohl eher ein wenig lächerlich rübergekommen (ebenso lächerlich wie das Techno-Gequatsche bei 20.000 Meilen unter dem Meer aus derselben Reihe, wo man keine Sekunde lang dem Umstand Rechnung trägt, wie absurd die Ausführungen heute doch klingen müssen). Deswegen hat man sinnvollerweise gar nicht erst versucht, das wahre Leben, die wahre Wissenschaft zu kopieren, sondern ist direkt in die Handlung eingetaucht - und hat mit der Umgestaltung der Figur des Dr. Lake in eine Frau ausnahmsweise mal genau das Richtige getan, was ich sonst so sehr bei dieser Reihe vermisse: Man hatte den Mut, sie mit einem echten Hintergrund auszustatten, sie tatsächlich zu einem Charakter werden zu lassen - und sie dann auch noch so auszustatten, dass mit ihrem Auftreten eine Dynamik im Zusammenhang mit dem eigentlichen Protagonisten entsteht , durch die allein die überlange Exposition überhaupt erträglich wird. Denn bis zu ihrem Auftauchen proben Dyer und Pabody mal wieder das altbekannte Pingpong-Spiel mit Dialogen, die aus nichts bestehen als dem endlosen Einander-Ergänzen und Einander-Bestätigen - schnarch!
      Mit Leni Lake wird das völlig aufgebrochen, und dazu noch die Lovecraft'sche Welt, wie sie sich oft darstellt, nämlich sehr männlich dominiert (was der Zeit geschuldet sein mag), noch auf eine sehr unterhaltsame und augenzwinkernde, aber niemals lächerliche oder alberne Art hinterfragt. (Und die Ausgestaltung der Figur Dr. Lakes nutzt die Leerstellen der Vorlage und füllt sie, verändert nach meinem Empfinden aber eben nicht den Gesot der Vorlage, sondern bereichert ihn.) Ich habe das immer als guten Schachzug empfunden, vor allem weil Lake dadurch sehr viel an Kontur gewinnt und man später richtig um sie bangt - was man in der Vorlage keine Sekunde macht, weil Lake dort einfach nur ein Name ist und mehr nicht.

      Gut, die Liebesgeschichte zwischen Danforth und Leslie hätte nicht unbedingt sein müssen, aber auch hier kann ich das Motiv nachvollziehen und finde es ausdrücklich aller Ehren wert: Gruppe wollte durch dieses Paar die emotionale Beteiligung des Zuhörers für die Geschehnisse, die ja in der Ferne ablaufen, erhöhen, indem er einen emotionalen Konflikt einführt. Problematisch ist für mich deswegen auch nicht, dass er es macht, sondern wie er das tut, denn er wendet für all das nicht viel Raum auf (was verständlich ist, um nicht die Handlung endlos zu zerdehnen), bleibt in seiner Schilderung darum aber viel zu oberflächlich, was diese aufkeimende Liebe doch recht kitschig und abgeschmackt erscheinen lässt. Und Kitsch passt nun mal nicht gut ins Lovecraft'sche Universum.

      Was ich damit sagen will: In meinen Augen ist gerade mit dieser Veränderung der Geist der Vorlage hervorragend transportiert worden, und die Geschichte wäre, hätte man sie ganz genau im Stil der Vorlage umsetzen wollen, wohl mit ziemlicher Sicherheit missraten, davon bin ich überzeugt. So aber ist diese Geschichte sehr stimmungsvoll und atmosphärisch, auch wenn die Liebesgeschichte kitschig und darum unpassend ist und der erste Teil deutlich zu lang geraten.

      Problematisch kann ja auch sein, wenn Vorlagen nicht im Hier und Jetzt spielen, sondern zu einer anderen Zeit.
      Muss man zwangsläufig bei einer Umsetzung die Zeit übernehmen, die in der Vorlage angegeben ist, oder ist es legitim, den Plot in eine andere Zeit zu versetzen?
      Für mich gilt hier: Es kommt drauf an, ob der Geist der Vorlage dies zulässt. Gewöhnlich ist eine Geschichte Kind der Zeit, in der sie spielt, darum mag es in den meisten Fällen beinahe Pflicht sein, sie auch dort spielen zu lassen - zumal dann natürlich wenn sich die betreffende Geschichte aufgrund der technischen Möglichkeiten der Gegenwart so gar nicht mehr erzählen ließe.
      Aber wenn die Vorlage es hergibt, wenn es sie vielleicht sogar bereichert, dann kann es durchaus sinnvoll sein, dies zu tun.
      Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Wirkung von literarischen Stoffen oft einen deutlichen Zeitbezug hat, dass Autoren oft auch mit den Grenzen des (damaligen) Wissens gespielt haben, wenn sie Wendungen einstreuten, die mit der Erwartung des Lesers spielten. Einiges davon, was damals völlig neu war, ist heute vielleicht längst zum Klischee geworden und überraschte gar nicht mehr, also wäre eine haargenaue Umsetzung unter Umständen gar nicht im Sinne des Geistes einer Vorlage, sondern sogar das genaue Gegenteil, weshalb man gut daran tun kann, hier etwas zu verändern.
      Mir fallen da vor allem die Wells-Vertonungen von Oliver Döring ein, die mir, was das angeht, sehr gut gefallen haben.

      Aber genug einstweilen von meinen Ergüssen... :zwinker:

      Wie seht Ihr das?
      Was darf, was kann, was muss eine gute Hörspiel-Umsetzung?
      Und was darf, was kann, was muss sie eben nicht?

      Welche Umsetzungen fallen Euch ein, die besonders gut gelungen sind?
      Und welche sind eher abschreckendes Beispiel?

      Ich wäre an Euren zahlreichen Meinungen sehr interessiert.
    • Ein sehr schönes Thema. :]

      Mir geht es da im Moment wie @MonsterAsyl - über konkrete Beispiele muss ich erstmal nachdenken, bevor ich etwas dazu schreiben kann.

      Vom Prinzip her bin ich allerdings voll auf Deiner Linie, @Hardenberg - ein Hörspielskript funktioniert völlig anders als ein Buch. Da muss man sich als Skriptautor schon etwas mehr einfallen lassen als ellenlange, aus dem Buch kopierte Erzählerpassagen (bei denen mir die Ohren einschlafen), garniert mit ein paar Dialogen, die es dann auch nicht wirklich gebraucht hätte, weil sie bereits Erzähltes nur noch nachspielen... todlangweilig is so eine Umsetzung.

      Ein Hörspielskript muss die Zügel locker lassen und sich auch meist etwas von der Buchvorlage wegbewegen um zu funktionieren. Das allerdings total pauschal zu sagen, ist wohl auch nicht ganz richtig. Es kommt auf die Buchvorlage an, wie weit eine buchnahe Umsetzung gelingen kann. Dasselbe gilt ja auch für Verfilmungen.

      Wenn allerdings die Buchvorlage soweit strapaziert wird, dass neue Hauptfiguren erfunden werden oder sogar noch die Zeit, in der sie spielt, verändert wird, dann kann auch das funktionieren (schönes gelungenes Beispiel: "Die Zeitmaschine" nach H.G. Wells von Oliver Döring), allerdings finde ich, dass man dann fairerweise schon vorher darauf hinweisen sollte, und so eine Hörspielproduktion dann mit einer Angabe wie "FREI NACH ..." versehen sollte - wenn es denn zu einer völligen Neugewichtung der Geschichte kommt (was bei der "Zeitmaschine" ja aber nicht der Fall ist).

      Eine sehr gelungene Umsetzung eines Buches finde ich (so aus dem Stegreif) "Der Name der Rose". Hier hat man alles richtig gemacht. Die ellenlangen philosophischen und historischen Passagen wurden so weit wegradiert, dass eine stimmige Erzählerlänge herausgekommen ist, die den "Geist des Romans" gut ins Hörspiel transportiert, ohne das Hörspiel zu erzählerlastig zu machen.

      Und jetzt geh ich mal weiter nachdenken... :buerowinke:
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • Mir ist sämtliche Veränderung einer literarischen Vorlage recht, so lange das daraus resultierende Hörspiel: kurzweilig, spannend, unterhaltsam, mitreißend, wiederhörenswert ist. :D

      Von mir aus kann was weggelassen, zugedichtet, komplett verändert werden, sofern das Ergebnis überzeugt.

      Hörspielvorlagen sind im Regelfall ja keine hochintellektuellen, welterklärenden, nobelpreisverdächtigen Werke, sondern in den meisten Fällen Unterhaltungsliteratur, die damals wegweisend und prägend waren, in der heutigen Zeit aber eher ein müdes Lächeln hervorrufen würden. Von daher ist es Pflicht den Content in die "aufgeklärte" Welt zu übertragen.

      Moderne Unterhaltungsliteratur ist häufig inhaltlich und sprachlich besser, reißt aber nicht mehr so vom Hocker wie die "Erstlingswerke" von damals. Wenn ich ein hochgebildeter neunmalkluger semiprofessioneller Literat bin, darf ich am besten keine Hörspiele hören ohne enttäuscht zu sein. Hörspiele sind eine moderne in sich geschlossene Kunstform.
    • Hardenberg schrieb:

      Was darf, was kann, was muss eine gute Hörspiel-Umsetzung?
      Für mich kommt es extrem darauf an, ob ich die Vorlage kenne und dann zudem noch, wie sehr sie mir gefallen hat. ;)
      Bin ich ein großer Fan des Buches, möchte ich bitte möglichst alles im Hörspiel wiederfinden, was ich an der Geschichte besonders mochte.
      Also sämtliche Kernszenen, sämtliche Hauptfiguren (diese mit passenden Stimmen besetzt!) und den Plotaufbau genau so, wie in der Geschichte auch.
      Ohne wilde Kürzungen, die die Hälfte von dem, was die Story ausmachte, unter den Tisch fallen lassen! :nene2:
      Geht es nur mit Erzähler, alles adäquat rüberzubringen, dann eben auch den! Bin kein kategorischer Gegner dieses Stilmittels.
      Kurz gesagt: Was mich als Roman wirklich gut unterhalten hat, das soll nicht als Hörspiel plötzlich "auf Teufel komm raus" umgemodelt werden.
      Dann greife ich lieber wieder zum Buch (von mir aus auch Hörbuch) und mache mir mein Kopfkino allein mit dem Medium.
      Für mich sehr gut gelungen sind in dem Zusammenhang sowohl Kai Meyer - Die Geisterseher als auch Kai Meyer - Die Winterprinzessin.
      Obwohl ich zugeben muss, dass ich für die Vorlagen in beiden Fällen kein wirklich großes Faible habe, hatte die Bücher zwar beide recht zeitnah zu den Hörspielen (wieder) gelesen, aber eigentlich nur, um besser vergleichen zu können.
      Es gibt Erzählpassagen, wie im Buch, denn der alternde Wilhelm Grimm berichtet ja über die Abenteuer, die er und sein Bruder in ihren 20ern erlebt haben, allerdings von Hasso Zorn sehr angenehm gesprochen (ich mag seine Stimme ohnehin!), eher Unwichtiges wurde weggelassen, aber die für die Handlung relevanten Passagen sind samt und sonders zu finden und auch so aufgebaut, dass die Spannung des Buches - durch das zusätzliche akustische Element - geradezu ideal mitgetragen und noch erhöht wird.
      Inhaltliche "Absacker" fehlen komplett, und obwohl jedes Hörspiel ja über mehrere CDs läuft, hat man keine Minute das Gefühl, diese oder jene Szene hätte besser weiter gekürzt werden sollen.
      Weiß noch (weil @gruenspatz das Beispiel ja anführt), dass mich "Der Name der Rose" als Buch immer mal wieder ein bisschen gelangweilt hat, weil eben doch mehrfach sehr philosophische, theoretische Textpassagen kamen, die man aber im Hörspiel wirklich auf ein Minimum beschränkt hat, um den Ablauf flüssiger zu machen.
      Für mich der absolut richtige Weg, denn das Gros der Hörer möchte nun mal in erster Linie unterhalten werden, für den "tieferen Einblick" gibt es das Buch bzw. andere Literatur zur Thematik.

      Kenne ich die Vorlage gar nicht bzw. habe ich sie zwar mal gelesen, das aber ohne größereres Interesse, sehe ich es ganz ähnlich wie @Ahtan.
      Dann sind meine Maßstäbe an ihre Authentizität und "Unantastbarkeit" eher gering.
      So z.B. auch bei "Berge des Wahnsinns".
      Dass man hier zwei Frauen einbaute, wo im Original nicht eine einzige vorhanden war, ist mir schon immer schnuppe gewesen, da ich die Geschichte nicht kannte, mich das Ergebnis aber überzeugen konnte.
      Fraglich nur, ob man in Fällen starker Veränderung - einfach um diejenigen, die die Vorlagen in ihrer ursprünglichen Form sehr schätzen, "vorzuwarnen" - nicht tatsächlich besser "nach dem Roman/ der Geschichte XY" auf die Cover schreiben sollte.
      Wobei das ja aber z.T. auch geschieht.
    • Ich bin gerade fertig geworden mit der Hörbuchfassung von Cixin Liu - Der dunkle Wald. Das war ein 22-Stunden-Werk!

      Da ab 1.10. ja die Ursendung der Hörspielfassung im Radio läuft, werde ich ein besonderes "Ohrenmerk" auf die Umsetzung legen und versuchen, das hier unter die Lupe zu nehmen. Ich freu mich schon sehr auf das Hörspiel!
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • @Agatha spricht da einen sehr wichtigen Punkt an: den persönlichen Bezug zur Vorlage. Natürlich, wenn ich ein Buch in- und auswendig kenne, mich ihm tief verbunden fühle und beim Lesen meine eigenen Bilderwelten kreiert habe, dann achte ich bei einer Umsetzung als Hörspiel natürlich ganz besonders darauf, inwieweit die Vorstellungen des Autors mit den meinen übereinstimmen und ob das alles im Sinne der geliebten Vorlage ist.
      Aber natürlich ist das Risiko, enttäuscht zu werden, sehr hoch. Und das muss dann nicht immer mit der mangelhaften Umsetzung zu tun haben. Das ist ein Grund, warum ich Umsetzungen von Werken, die ich bereits als Vorlage gut kenne, oft kritisch gegenüberstehe: Weil sie mich eben oft enttäuscht zurücklassen - und das gar nicht mal weil sie schlecht gemacht sind, sondern weil sie meine persönlichen Erwartungen nicht erfüllen und ich von meinen Bilderwelten nicht ablassen mag. Nur selten fallen Umsetzungen ja so kongenial aus wie das von mir hier bereits so oft gerühmte Hörspiel Das Bildnis des Dorian Gray vom HörVerlag, bei dem nicht zuletzt Erzähler Axel Milberg einen wesentlichen Anteil daran hat, den schwärmerisch-ästhetisierenden Ton der Vorlage (die ich liebe) wunderbar ins Hörspiel zu übertragen.

      Aber wenn man um die Problematik der persönlichen Voreingenommenheit weiß, kann man auch versuchen, dies zu berücksichtigen und ein Hörspiel unter den Gesichtspunkten einer gelungenen Umsetzung betrachten, denke ich. Das mag nicht leicht sein, aber durchaus nicht unmöglich.

      Und dann ist natürlich auch immer die Frage, ob man bei einem Hörspiel, das auf eine Vorlage zurückgeht, zwingend darauf schauen muss, ob es sich dabei um eine gelungene Umsetzung handelt oder nicht. Es ist wohl ganz einfach immer die Frage, wie wichtig einem dieser Aspekt ist. Zwingend erscheint er mir jedoch nicht. @Ahtan bekundete ja recht deutlich, dass es ihm viel wichtiger ist, ein gutes Hörspiel zu hören. Dagegen legt @MonsterAsyl bei seinen Rezis immer besonders großen Wert (wenn nicht sogar das Hauptaugenmerk) auf die Feststellung, wie sich das jeweilige Hörspiel im Vergleich zur Vorlage verhält, inwieweit es Änderungen gibt usw.

      Bei mir ist es so, wenn ich die Vorlage kenne, dann spielt es bei meiner Betrachtung durchaus auch eine Rolle, wie das Verhältnis zwischen Vorlage und Umsetzung ist. Für die Frage jedoch, wie ich ein Hörspiel letztlich bewerte, spielt die Vorlage dann aber eine eher nachgeordnete Rolle. Entscheidend für mich ist, ob die Handlung des Hörspiels funktioniert. Und wenn es Änderungen gegenüber der Vorlage gab, ob diese die Handlung plausibler machen oder sie zumindest noch immer plausibel ist. Ein Hörspiel kann (theoretisch betrachtet) gelungen sein, obwohl es gleichzeitig keine gute Umsetzung der Vorlage ist. Umgekehrt dürfte es schwerlich möglich sein, es sei denn, man räumt dem Hörspiel als eigenständiger Kunstform kein souveränes Recht ein.

      Für mich sind die Francis-Umsetzungen der DDF-Klassiker ein sehr gutes Beispiel für die gelungene Umsetzung von Buchvorlagen, auch wenn ich natürlich um die Fehlerteufel weiß, die über Jahrzehnte akribisch dokumentiert wurden. Da ich aber nicht weiß, ob sie tatsächlich Francis anzulasten sind oder die Skripte vielleicht im Nachhinein noch von Frau Körting oder Herrn Beurmann endbearbeitet wurden, bin ich da etwas zurückhaltend mit meiner Kritik. Da ich aber, wie ich ja an anderer Stelle schon schrieb, derzeit häufiger mal die DDF-Klassiker mit meinem Sohn lese, kann ich auch noch einmal aus einer etwas distanzierteren Position heraus auf die Umsetzungen blicken, und ich muss wirklich sagen, dass ich eigentlich nie den Eindruck hatte, dass etwas Entscheidendes herausgekürzt wurde. Oder gar sinnentstellend verändert. Im Gegenteil, meist dachte ich bei den Büchern: Richtig so, das rauszukürzen, das ist unnötig und langweilig. Vor allem bei den Arthur-Werken dachte ich das übrigens. (O Frevel! Nieder mit dem Ketzer! =) )

      Ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, ist dagegen Schatz der Mönche aus derselben Reihe. Ich weiß noch, dass ich das im Zuge der Toteninsel-Euphorie bzw. deren Nachwirkungen damals bei Erscheinen gelesen habe und sehr überrascht war, wie flott, wie rarsant, wie ereignisreich Ben Nevis seinen Plot entwickelt hatte - während bei Minningers Umsetzung im Grunde die ganze Rasanz der Vorlage einfach unter den Tisch gefallen ist und dabei ein Hörspiel von einer Betulichkeit, von einer Langsamkeit dabei herausgekommen ist, das alles andere als den Geist der Vorlage spüren ließ, sondern im Grunde nicht viel mehr als den Titel und den groben Handlungsrahmen mit ihr gemein hatte. Das Entscheidende aber, um das es bei diesem Buch ging, nämlich die Atmosphäre, die Schnelligkeit, die rasante Abfolge von Geschehnissen, fand keinerlei Ausdruck im Hörspiel. Ich weiß noch, dass ich ziemlich erschreckend fand, was man aus einer guten Vorlage, die eigentlich ein Selbstläufer hätte sein müssen, machen kann, wenn einem offensichtlich das Talent und die Mittel oder zunmindest Zeit, Wille, Konzentration fehlen.

      Eines noch übrigens zum Gruselkabinett:
      Es wurde ja geschrieben, dass, wenn eine Umsetzung sich zu weit von der Vorlage entfernt, es redlich wäre, dann auch darauf hinzuweisen, dass das Hörspiel bloß nach dem Roman oder nach der Erzählung des betreffenden Autors entstanden ist. Hier muss man aber konstatieren, dass Titania Medien das grundsätzlich auf die Rückseite ihrer CDs schreiben. Es heißt da immer: Hörspiel von Marc Gruppe nach der gleichnamigen Erzählung von XY. Der Vollständigkeit halber sei dies erwähnt.

      Das finde ich ein wirklich entscheidendes Detail.

      Ich denke, es gibt bei Umsetzungen drei Abstufungen:

      1. Ein Hörspiel, das sich der Vorlage verpflichtet sieht, so dass der Bearbeiter im Hintergrund bleibt.

      2. Ein Hörspiel, bei dem sich der Bearbeiter in gewissem Rahmen von der Vorlage löst; dies wird dokumentiert durch den Zusatz: Hörspiel von XY nach einem Roman von YZ.

      3. Ein Hörspiel, das eine Vorlage nur noch als eine Art Aufhänger nutzt, um eine eigene Geschichte zu erzählen, die mit dem Originalstoff nicht mehr viel gemein hat; dokumentiert durch den Zusatz: Hörspiel von XY nach Motiven von YZ.

      Und wie ich schon schrieb: Mich stören weniger die Abweichungen selbst, als die Art und Weise, wie umgesetzt oder auch abgewichen wird.
      Denke ich etwa an Das Haus mit den sieben Giebeln, so mag das, verglichen mit dem Text, sehr gewissenhaft umgesetzt worden sein, aber die ganze Atmosphäre, die das Buch so außergewöhnlich macht, überträgt sich für mein Empfinden überhaupt nicht. Und die Atmosphäre ist eben gerade (vor allem auch in diesem Fall) etwas ganz Entscheidendes, was eine Geschichte gut oder schlecht macht. Und die ergibt sich eben nur zwischen den Zeilen und ist deshalb auch nicht eins zu eins übertragbar, sondern es müssen die Mittel des Hörspiels genutzt werden, um sie nachzubilden. Und das vermisse und kritisiere ich beim Gruselkabinett ja nun seeehr oft!

      Besser ist dies etwa beim Untergang des Hauses Usher gelungen, bei dem, wie ich finde, die Atmosphäre des Vorlage wunderbar treffend nachempfunden wurde.

      Gerade bei Titania fehlt mir aber oft der Wille, einen Stoff über das Dialogische (was ja im Grunde tatsächlich oft eher monologisch ist) hinaus ins Hörspiel zu übertragen. Was das angeht, mangelt es mir viel zu oft am erkennbaren Handwerk des Hörspielautoren, eine Geschichte auch mit anderen Mitteln des Hörspiels umzusetzen. Oder um es etwas spitzer zu formulieren: Ich habe oft den Eindruck, dass man es sich zu leicht macht und ein wenig zu sehr in der Gemütlichkeit seiner Schema-F-Umsetzungen eigerichtet hat.
      Während ich bei jemandem wie Oliver Döring den Willen und den Antrieb sehe, die verwandten Mittel immer wieder auch zu hinterfragen, mit ihnen zu spielen, sie zu verändern, auch zu experimentieren, um zu sehen, wie etwas auch anders erzählt werden kann, auch ohne Dialoge und Erzählertexte. Gleiches gilt auch für Göllner. Und auch Sassenberg war jemand, bei dem man die Lust spürte, die inszenatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Das fehlt mir doch bei Titania ein wenig. Da klingt vieles mittlerweile doch etwas müde. Wie ein Stern, der nur noch nachstrahlt, aber nicht mehr aus sich selbst heraus zu leuchten vermag. (Und jetzt bitte keine Astronimiekunde, bitte, das war metaphorisch gemeint! :zwinker: )

      Übrigens kann ich mich erinnern, dass ich damals bei meinem Wiedereinstieg in die Hörspielwelt mit der Ed.2000 von Sinclair mir nach einiger Zeit dringend gewünscht hätte, dass man die Vorlagen mal verändert hätte, weil mich die 08/15-Auflösung mit Kreuz und Erzengel-Anrufen, wie es in jeder zweiten Folge praktiziert wurde, recht schnell zu nerven begonnen und im Grunde jede Spannung geraubt hat. Da hätte ich mir doch hin und wieder den Mut gewünscht, die Geschichten doch ein wenig cleverer und weniger vorhersehbar zu machen. Vielleicht wäre ich dann heute noch immer Hörer. So war aber spätestens nach zwanzig Folgen für mich alles erlebt, was es in diesem Genre zu erleben galt. Und alles weitere war nur endlose Wiederholung. Wenigstens für mich. Aber das hätte dann wohl wieder die Puristen auf den Plan gerufen...

      +++

      Edit:
      Gerade musste ich an die Dracula-Umsetzung aus der Neon-Grusel-Reihe von H.G. Francis denken und fragte mich: Ist das nun eigentlich eine dreiste Beschneidung der Vorlage oder im Grunde doch eher eine geniale Verdichtung? Denn im Grunde wird der Originalstoff zumindest atmosphärisch sehr gut getroffen, auch wenn die Handlung ja nun wirklich auf ein Minimum reduziert wurde.
    • Hardenberg schrieb:

      Natürlich, wenn ich ein Buch in- und auswendig kenne, mich ihm tief verbunden fühle und beim Lesen meine eigenen Bilderwelten kreiert habe, dann achte ich bei einer Umsetzung als Hörspiel natürlich ganz besonders darauf, inwieweit die Vorstellungen des Autors mit den meinen übereinstimmen und ob das alles im Sinne der geliebten Vorlage ist
      Richtig.

      Deshalb sind ja die Werke von Interplanar so gewaltig.
      Nicht nur Herr Michalewski, nein auch Balthasar und Andy haben das "Neue Universum",
      ein Werk des Union - Verlages, mit ihren Werken nicht nur fortgeschrieben,
      sondern auch modernisiert und verbessert.

      Deshalb sind "Mark Brandis" und Heleosphere" auch heute
      die Referenz in der Scifi.

      Nur--
      Leider hat dies Frau Michalewski immer noch nicht erkannt,
      so daß Mark wohl Elea folgen werden muß, wenn sie nicht
      endlich eingreift. :nene2:

      ..
      Interplanar: Du hörst nicht zu, Du bist dabei! :applaus:
    • Hardenberg schrieb:

      Kriegste eigentlich 'ne Prämie von irgendjemandem, sobald Du den Namen "Elea" (in welchem Zusammenhang auch immer) fallen lässt? Es will mir fast so erscheinen.
      Na klar!
      Schließlich schauen zu dem feinen Mädel einen Menge
      schwerstbehinderte Kids empor! 8o

      Und genau die meinen:
      Zauberstern ist das gurkigste Label aller Zeiten! :aufstampf:

      ..
      Interplanar: Du hörst nicht zu, Du bist dabei! :applaus:
    • @Buratino Dann hoffe ich, dass Du die Kinder nicht in dem Glauben lässt, sondern sie aufklärst und richtig stellst, warum es leider zur Einstellung kam. Darüber hinaus hoffe ich, dass Du die Elea Anhängerschar mit den vielen alten Folgen von Kiddnix auf MC und CD versorgst. Ich glaube ich habe 26 MCs im Regal stehen und noch einige CDs. Da haben sie auf jeden Fall sehr, sehr viele Stunden zu hören.
    • Hardenberg schrieb:

      Hier muss man aber konstatieren, dass Titania Medien das grundsätzlich auf die Rückseite ihrer CDs schreiben. Es heißt da immer: Hörspiel von Marc Gruppe nach der gleichnamigen Erzählung von XY. Der Vollständigkeit halber sei dies erwähnt.
      Ja, genau deshalb schrieb ich auch, dass das eben z.T. schon geschieht, wobei dieser "Teil" für mich in erster Linie aus den Gruselkabinetten besteht.
      Ob es bei anderen Hörspielen mit größerem Veränderungs-Anteil auch der Fall ist, könnte ich so aus dem Stegreif nicht sagen.


      Hardenberg schrieb:

      Gerade musste ich an die Dracula-Umsetzung aus der Neon-Grusel-Reihe von H.G. Francis denken und fragte mich: Ist das nun eigentlich eine dreiste Beschneidung der Vorlage oder im Grunde doch eher eine geniale Verdichtung? Denn im Grunde wird der Originalstoff zumindest atmosphärisch sehr gut getroffen, auch wenn die Handlung ja nun wirklich auf ein Minimum reduziert wurde.
      Gerade am Dracula-Stoff wurde schon so viel um-/ hinzu- etc. gedichtet, da empfinde ich die Grusel-Fassung doch eher als geniale Komprimierung denn als schnöde Beschneidung. Mir hat das dort Gesagte immer vollauf genügt, auch schon als Kind.
      War alles drin, was ich brauchte, um sich angenehm zu gruseln, selbst die unterschwellige Erotik ist mir da nicht entgangen. ;)
    • Hardenberg schrieb:

      Was darf, was kann, was muss eine gute Hörspiel-Umsetzung?
      Die Frage finde ich gar nicht so einfach zu beantworten. :denk: Vielleicht ist es ja wirklich am einfachsten, man macht so was an einem nachvollziehbaren Beispiel fest. Ich hab mich ja schon als Kind für phantastische Stoffe interessiert und bereits in sehr frühen Jahren das Buch "Der Krieg der Welten" gelesen. Das hat mich total begeistert und als es dann Ende der 1970er, Anfang der 80er Jahren hiess, das englischsprachige Hörspiel aus den 1930er Jahren würde im Radio ausgestrahlt werden, war ich voller Vorfreude und sehr gespannt auf die Umsetzung. Ich sags ganz offen: ich war von der Eröffnung sehr irritiert. =) Ich dachte, das HSP wäre so aufgebaut, wie ich es gewohnt bin und hatte nicht damit gerechnet, daß man mir das Geschehen in Form einer "Live" Radioeportage präsentieren würde. Die Produktion und vor allem der Radiosprecher waren aber so mitreissend, daß ich sofort fasziniert war. Ich finde die Orson Wells Adaption ist ein gutes Beispiel dafür, was das HSP darf. Die Erzählform, hier eine Reportage, kann sich durchaus (auch extrem) von der literarischen Vorlage unterscheiden, solange man alle wesentlichen Elemente des Buches integriert. Doch welche sind das?
      Fangen wir mit dem zeitlichen Setting an. Beides, Roman und Hörspiel, spielen in der jeweiligen Gegenwart, also einmal 1898 und einmal 1938. Wenn man die beiden Versionen vergleicht, scheint es egal zu sein, zu welchem Zeitpunkt man die Geschichte spielen lässt. Das wirkt aber vor allem so, weil für uns beides in der Vergangenheit liegt und wir so wenig Bezug zu dem einen, wie dem anderen Zeitalter haben. Wichtig ist also offensichtlich nur, daß das Geschehen in der für den Hörer aktuellen Zeit angesiedelt ist. Gleiches gilt für das örtliche Setting. Ob die Invasion nun in England, den USA, oder sonstwo startet, spielt überhaupt keine Rolle, solange es beim Hörer vor der Haustür ist. Beide Elemente sind also variabel, müssen aber vorhanden sein.
      Kommen wir zur Erzählperspektive, einem wesentlichen Knackpunkt, an dem sich die Geister oft scheiden. Der Autor möchte den Leser ja möglichst sofort in seinen Bann ziehen und das erreicht man am einfachsten, indem man die Handlung aus der eigenen Sicht, also als "Ich-Erzähler", schildert.
      Das schafft eine emotionale Bindung zwischen dem Leser und der Figur, die sich nur schwer ins Hörspiel übertragen lässt. Selbstverständlich kann man den Text einfach 1:1 übernehmen und den Hauptdarsteller ständig Selbstgespräche führen lassen, aber das wäre nicht sehr abwechslungsreich und würde allenfalls einem Hörbuch genügen. An diesem Punkt muss sich der Hörspielskriptautor überlegen, wie seine Version werden soll. Eine Variante, welche auch oft beim Gruselkabinett Verwendung findet, ist die Monologe in Dialoge umzuschreiben. Auf diese Weise lässt sich entweder der ursprüngliche Text mehr oder weniger komplett wiedergeben, oder aber man nutzt die Gelegenheit, um Sprache zu "modernisieren" bzw. ganz neue Informationen zu präsentieren. Hier kommt es wohl darauf an, was man als Skriptautor möchte.
      Eine weiterer Option wäre noch, die Informationen in Form von "Spielszenen" zu vermitteln. Das gestaltet sich aber oft als extrem schwierig, und wenn man keine Erzähler einsetzt, läuft man Gefahr, den Hörer mit all den "Actionsounds" zu verwirren und damit auch zu "verlieren". Die Radiofassung versucht beides gar nicht erst, sondern macht sich das Medium selbst zunutze, in dem so getan wird, als ob man einer "Live" Übertragung im Radio beiwohnen würde. Wenn überhaupt, könnte man in diesem Fall höchstens den Reporter als Identifikationsfigur anführen. Dementsprechend rührt die Spannung auch nicht daher, daß man mit dem Helden mitfiebert, sondern resultiert aus dem Gefühl "live" bei einer Invasion dabei zu sein. Die Perspektive ist also eine ganz andere und trotzdem funktioniert sie wunderbar. Da dieser "Trick" auch im TV Zeitalter noch klappt, bekam das ZDF zu spüren, als man bei der Ausstrahlung einer "Kottan ermittelt" Folge gegen Ende eine "Meldung" einblendete, mit dem Wortlaut: "UFO in Duisburg gelandet! Sondersendung im Anschluss". :lach2:
      Was uns zu der Frage bringt, inwieweit man sich der "Vollständigkeit" des Inhalts verpflichtet fühlt. Beim Gruselkabinett achtet man immer darauf, ein möglichst perfektes akustisches Abbild der literarischen Vorlage zu schaffen, die dem ursprünglichen Text möglichst nahe kommen soll. Die Radiofassung hingegen nimmt lediglich die Prämisse als Ausgangspunkt und hangelt sich dann nur noch sehr grob am ursprünglichen Text entlang. Die Invasoren kommen, richten Schaden bei Mensch und Umgebung an und kommen schliesslich durch Bakterien zu Fall. Zwischenmenschliche Aspekte bleiben hier komplett aussen vor und nehmen der Geschichte, meiner Meinung nach, auch ihre Tiefe. Diese Fassung wirkt zwar moderner, weil sie eher einem "Actioncut" und damit dem heutigen Zeitgeist entspricht, aber die von Wells intendierte Kritik an der Kolonialpolitik seines Landes, bzw. der Kirche sucht man hier vergebens.

      Mein Fazit:
      Bei einer guten Geschichte ist das räumliche und zeitliche Setting (meistens) beliebig austauschbar, da es keinen Einfluss auf den eigentlichen Inhalt hat. Insofern darf sich das Hörspiel hier (fast) jede Freiheit nehmen. [Anmerkung: Das kommt natürlich auch immer ein wenig auf die Geschichte an. Eine Holmes-Story beispielsweise ließe sich natürlich nicht so ohne weiteres in Zeit und Raum hin und her schieben. ;) ]
      Was den Inhalt angeht, so bin ich ein wenig im Zwiespalt. Hier darf und kann das Hörspiel zwar abweichen, muss aber dennoch, in egal welcher Form, alle Kernelemente beinhalten, um mich vollkommen zufriedenzustellen. Letztendlich muss eine Hörspieladaption aber vor allem eins: mich unterhalten. :sera:


      OTR-Fan
    • Mir fällt als absolut gelungene (leicht veränderte) Umsetzung einer Vorlage Dörings "Die Zeitmaschine" ein. Ich hab die jetzt schon ein paar Mal gehört und bin immer wieder fasziniert ob dieser genialen Art der Umsetzung. Da passt in meinen Augen alles, Top-Sprecher, schwankend zwischen Erzählpassagen und Actionszenen, die aber perfekt ineinander übergehen, ein über sich hinauswachsender Hans-Georg Panczak... Perfekt!!! Besser als das Original.

      Das ist für mich das Paradebeispiel einer (leicht veränderten) Unsetzung. Schwärm!!!! Sorry. ^^
    • Ich finde ebenfalls, dass Änderungen vom Buch zum Hörspiel nicht nur möglich, sondern sogar notwendig sind, sonst wäre es ja ein Hörbuch oder eine inszenierte Lösung.

      Was hier jedoch noch nicht explizit erwähnt wurde, ist wenn das Ende einer Geschichte teilweise oder komplett geändert wird.

      Bei einer abgeschlossenen Geschichte ist dies theoretisch möglich, wenn auch eher seltsam/negativ überraschend, denn sehr selten ist das neue Ende des Hörspielscriptes besser, als das vom Autor geschriebene.
      Dies war oft bei den Larry Brent Hörspielen von R&B der Fall.

      Ist die Vorlage jedoch eine aufeinander aufbauende Reihe (von Büchern, Romanen, Comics, Serien, Filmen usw.), würde ich persönlich raten, von großen Änderungen Abstand zu nehmen, da dies die folgenden Geschichten teilweise völlig verändern wird.
      Dies fällt mir zum wiederholten Male sehr, sehr negativ bei den Dorian Hunter Hörspielen ab Folge 26 auf.
      Dort wurden einige Folgen im Gegensatz zur Vorlage so verändert, dass spätere Folgen stark umgeschrieben werden müssen um überhaupt zu funktionieren. Ach wurde bereits ein Roman komplett ausgelassen, auf den ein späterer Roman basiert, was ich als sehr ärgerlich empfinde, da dies einer meiner Lieblingsromane ist.
    • Ahtan schrieb:

      Mir fällt als absolut gelungene (leicht veränderte) Umsetzung einer Vorlage Dörings "Die Zeitmaschine" ein. Ich hab die jetzt schon ein paar Mal gehört und bin immer wieder fasziniert ob dieser genialen Art der Umsetzung. Da passt in meinen Augen alles, Top-Sprecher, schwankend zwischen Erzählpassagen und Actionszenen, die aber perfekt ineinander übergehen, ein über sich hinauswachsender Hans-Georg Panczak... Perfekt!!! Besser als das Original.

      Das ist für mich das Paradebeispiel einer (leicht veränderten) Unsetzung. Schwärm!!!! Sorry. ^^

      @Ahtan Da sind wir uns dann ja einig, ich hatte "Die Zeitmaschine" von Döring weiter oben schon als gelungenes Beispiel erwähnt. :kumpel:


      @MonsterAsyl Apropos zeitliche Verschiebung eines Settings: da fällt mir doch gleich eine meiner (fast) aktuellen Lieblings-Hörspielserien ein:

      Sherlock & Watson - Neues aus der Baker Street

      Hier gelingt es mMn vorzüglich, das alte Holmes-Setting in die Gegenwart zu transportieren. Zugegeben - das hat die TV-Serie mit Benedict Cumberbatch auch schon so faszinierend und fesselnd und rasant gemeistert, aber das Ganze nochmal ins Hörspiel mit ähnlichem Setting zu transportieren, finde ich sehr gut gemacht. :] Auch hier gilt, was Du schon angesprochen hattest: es ist (in Teilen) egal, in welcher Zeit die Hörspiele spielen - es kommt darauf an, dass Holmes' Methoden so verblüffend sind, dass die übrigen Figuren ins Staunen geraten - mit welchen Mitteln das erreicht wird, spielt eigentlich keine Rolle. Dass nun das Handy Verwendung findet, während sich Holmes früher anderer Kanäle bediente, ist egal. Hauptsache ist, seine Methoden wirken neu und unverbraucht und verblüffend. - Auch der Krieg, der Watson geprägt hat, ist eigentlich egal, und wird in der neuen Hörspielserie eben auf einen aktuellen transportiert. Auch hier gilt: egal welcher Krieg - Watson hat mit seinen Auswirkungen zu kämpfen.
      Eins und eins ist zwei -- von London bis Shanghai!

    • gruenspatz schrieb:

      Da sind wir uns dann ja einig, ich hatte "Die Zeitmaschine" von Döring weiter oben schon als gelungenes Beispiel erwähnt. :kumpel:
      Ich würde mal sagen, es dürfte kaum jemanden geben, der die Fassung kennt und nicht dieser Meinung wäre. :zwinker:
      Da könnte man ein Gruppen-Shake-Hands veranstalten. :kumpel: :kumpel: =)
      Ist für mich mit Abstand die Beste unter den bisherigen Wells-Vertonungen von O.Döring!
    • Na klar ist Dörings Zeitmaschine erstklassig. :zustimm:
      Vom Feinsten. Nur Elea fehlt noch. :green:

      Mich zu Beispiel hat der Zwischenstopp in der Zukunftsstadt
      da absolut fasziniert, der ist wie "Schöne Neue Welt" von
      Alois Huxley.

      Mann, das wäre ein Ding, wenn Herr Döring "Schöne neue Welt"
      vertonen könnte, mit dem "Vorgeschmack" könnte das Werk
      dann Balthasar's Machenschaften alle Ehre machen. 8o
      Und--
      Es könnte dann als Prequel für "Heliosphere" werden. 8)

      ..
      Interplanar: Du hörst nicht zu, Du bist dabei! :applaus: