Gruselkabinett - 136 - Das Königreich der Ameisen

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    • Gruselkabinett - 136 - Das Königreich der Ameisen



      Gruselkabinett - 136 - Das Königreich der Ameisen

      Zum Inhalt:
      Der junge Ingenieur Holroyd, der an der Entwicklung des neuen Kanonenbootes "Benjamin Constant" beteiligt war, begleitet Kapitän Guerilleau auf der Jungfernfahrt den Amazonas hinauf. Guerilleau soll in dem Städtchen Batemo nach dem Rechten sehen, da von dort Überfälle durch große Ameisen gemeldet wurden. Die beschwerliche Reise zehrt an den Nerven der Männer, aber das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was sie noch erwartet...

      Zur Produktion:
      Den weltberühmten Autor H.G. Wells (21.09.1866-13.08.1946) bringen die meisten Menschen sofort mit seinen beiden bekanntesten Werken ("Der Unsichtbare" - Gruselkabinett 120 & 121 und "Krieg der Welten" - Gruselkabinett 124 & 125) in Verbindung. Die wenigsten wissen, daß Wells nicht nur Science Fiction-Autor war, sondern unter anderem auch Satiren und Sachbücher über die Kriegsführung geschrieben hat. Die diesem Hörspiel zugrundeliegende Geschichte "Empire of The Ants" ist der einzige mir bekannte Ausflug des Schriftstellers ins Horrorgenre, denn im Gegensatz zu den bereits genannten Titeln, gibt es hier keinerlei wissenschaftliche Erklärung für das ungewöhnliche Phänomen.
      Schon zu Wells' Lebzeiten unternahm man Versuche, seine Werke für andere Medien zu adaptieren, doch der Autor war mit den Resultaten immer unzufrieden, selbst wenn er, wie bei den Dreharbeiten zu "Was kommen wird", persönlich am Set anwesend war. Das lag vor allem daran, daß sich die Verantwortlichen fast nie an seine Vorgaben bzw. Texte hielten. Es ist bedauerlich, daß Wells nicht mehr lebt, denn ich bin mir sicher, daß er an dieser Hörspielversion nichts auszusetzen gehabt hätte.
      Natürlich sah sich auch Skriptautor Marc Gruppe gezwungen, ein paar Veränderungen vorzunehmen, aber diese sind im Prinzip rein stilistische Natur und dienen dem flüssigeren Ablauf des ca. 56 minütigen Hörspiels. So hat er z.B. die zusätzliche Figur des Schiffseigners, also Holroyds Auftraggeber, geschaffen, um den von Wells in Monologform verfassten Eröffnungstext als gespielte Szene präsentieren zu können. Im weiteren Verlauf der Handlung gibt es zwar noch kleinere Abweichungen, aber diese sind hauptsächlich dem aktuellen Zeitgeist geschuldet und stellen keinen inhaltlichen Bruch dar. So lässt Marc Gruppe beispielsweise den Kapitän und seinen Leutnant akzentfrei und in vollständigen Sätzen sprechen, während sie bei Wells abgehacktes, noch dazu schlechtes Englisch reden. Während der Flußfahrt gibt es eine Szene, in der Guerilleau und Holroyd einfach zum Zeitvertreib mehrere Alligatoren abschießen. Ein solches Verhalten wird heutzutage erfreulicherweise weder gutgeheißen noch von der Gesellschaft toleriert. Natürlich hätte man die Sequenz einfach streichen können, doch stattdessen hat sich der Skriptautor dazu entschlossen, seine eigene Haltung - und hoffentlich auch die der Mehrheit von uns - in Form des zusätzlichen Satzes: "Ich habe mich hinterher geschämt!" einfließen zu lassen.
      Der weitere Verlauf entspricht dem der literarischen Vorlage, und die abstoßenden Details über die Auswirkungen des Ameisengifts sorgen für ein entsprechendes Gruselgefühl beim Hörer. Man bekommt hier stark den Eindruck, daß Gruppe mit den Figuren gelitten hat, denn das würde erklären, warum er den Kapitän eine ganze Salve auf die Stadt abfeuern lässt, während sich dieser bei Wells, wohl wegen der Sinnlosigkeit seiner Aktion, auf zwei Schüsse beschränkt. Ich finde Gruppes Version nachvollziehbarer, realistischer und vor allem emotionaler, weil sie die Hilflosigkeit der Kapitäns gegenüber der Situation versinnbildlicht.
      Um das Hörspiel nicht mit einem reinen Monolog à la Wells beenden zu müssen, greift der Skriptautor noch einmal auf den schon zu Anfang benutzen "Kniff" zurück und lässt Holroyd mit einem neu hinzugefügten Kolonialbeamten interagieren. Interessanterweise stammen die letzten Sätze, in denen Holroyd auf eine mögliche Bedrohung Englands eingeht, nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, von Wells, sondern von Marc Gruppe. Es ist mir vollkommen schleierhaft, warum nicht auch Wells seine Geschichte mit diesen fast schon offenkundigen Worten beschlossen hat. Zum einen machen sie das Ganze erst wirklich "rund", zum anderen wundert es mich, daß sich ein Patriot wie er diese Gelegenheit entgehen ließ.
      Wer nach dem Genuss des Hörspiels Lust bekommen hat, die Kurzgeschichte im englischen Original nachzulesen, findet sie im Internet unter en.wikisource.org/wiki/Empire_of_the_Ants.
      Bereits mit der musikalischen Eröffnung machen Stephan Bosenius und Marc Gruppe klar, daß es sich hier um ein Horrorhörspiel handelt. Statt einer Melodie, erklingen zunächst düster wabernde Synthesizertöne, zu denen sich nach und nach eine Panflöte und Trommeln gesellen, die dann gemeinsam eine harmonische, wenn auch bedrückende Weise bilden. Besonders unheimlich wirken aber die kurzen und mit Streichinstrumenten eingespielten Sounds beim Angriff der Ameisen, welche mich von ihrer Art her an Bernard Herrmanns legendäre Filmmusik für "Psycho" denken ließen. Neben der immer stimmigen Musik, haben die Produzenten und Regisseure natürlich auch darauf geachtet, die Handlungsorte mit einer Vielzahl an Geräuschen in Szene zu setzen. Besonders gelungen finde ich die Darstellung des Dschungels mit seinen fremdartigen Vogellauten, den unterschiedlich zirpenden Insekten und dem träge fließenden Wasser des Flusses. Dazu noch der stampfende Schiffsmotor und die schrille Pfeife, schon hat man das akustische Äquivalent der "African Queen" vor Augen. Die Effekte werden, wie üblich, eher spärlich und unaufdringlich eingesetzt. So hat man beispielsweise die Rufe auf dem Boot mit genau dem richtigen Maß an Hall unterlegt, um dem Hörer die Breite des Stromes zu veranschaulichen. Personen, die sich weiter weg befinden, werden etwas leiser eingespielt, um die Entfernung zwischen den einzelnen Sprecher zu zeigen.

      Zu den Sprechern:
      Hauptfigur und Erzähler ist Simon Roden(Ingenieur Holroyd) als enthusiastischer junger Mann, dessen sympathische Stimme während der Reise immer mehr an Sorglosigkeit verliert. Dementsprechend konträr wirkt auch der abschließende Dialog mit dem Kolonialbeamten, bei dem er sehr eindringlich und überzeugend spricht. Am besten gefällt mir aber Jean Paul Baeck(Kapitän Guerilleau), der den anfangs noch freundlichen, aufgeräumten Schiffsführer spielt. Es ist beeindruckend, wie er allein mit seiner Art zu intonieren, den stetig fortschreitenden geistigen Verfall seiner Figur hörbar macht. Ähnlich gut finde ich das intensive Spiel von Marc Gruppe(Leutnant Da Cunha) in seiner Rolle des bedauernswerten Untergebenen Guerillas. Während seines ersten Auftritts, als er nur von den Ameisen berichtet, ist er noch ganz der gefasste, beinahe dienstlich wirkende Soldat. Das ändert sich jedoch schlagartig, als er die Leichen findet und selbst von den Ameisen angegriffen wird. In diesem Moment verliert er komplett die Contenance und beginnt panisch zu schreien. Höhepunkt seines Auftritts sind sicherlich seine letzten Worte an den Kapitän, die er röchelnd hervorstößt.
      In weiteren Nebenrollen treten noch Joachim Tennstedt(Schiffs-Eigner) als besorgter Bootsbesitzer und Bodo Primus(Kolonialbeamter) als amüsierter Amtsträger auf. Zu guterletzt sei noch der Kurzauftritt von Bert Stevens(Carlos) als Matrose erwähnt, der als Einziger einen leichten spanischen Akzent in seinen Vortrag legt.

      Fazit:
      Titanias Hörspieladaption hätte selbst H.G. Wells zufriedengestellt.

      Das Hörspiel Gruselkabinett - 136 - Das Königreich der Ameisen
      gibt es bei
      Amazon.de
      oder bei
      POP.de


      OTR-Fan
    • Wow, da hast Du Dir ja wieder Mühe gemacht. Hut ab! :hutheb:

      Ich finde es immer total interessant, Deine kenntisreiche Analysen in Bezug auf die Relation Vorlage-Umsetzung zu lesen.

      Ob das Hörspiel mich aber auch losgelöst von der Vorlage überzeugen kann? :schulter:

      Mal sehen, wann ich dazu komme, mal reinzuhören.
    • Danke für das Kompliment. :bow:
      Es freut mich, daß Du meine Rezi lesenswert fandest. :)

      Hardenberg schrieb:

      Ob das Hörspiel mich aber auch losgelöst von der Vorlage überzeugen kann? :schulter:
      Hmm, gute Frage. Ich denke, daß kommt vor allem darauf an, wie wichtig Dir die Dichte zur Vorlage ist. Wenn Du darauf weniger Wert legst, kannst Du es bei der Döringversion belassen. Wenn Du aber, so wie ich, gerne ein Abbild der literrarischen Vorlage als Hörspiel haben willst, dann muss diese Version auch ins Regal. :biggrin:


      OTR-Fan
    • Muss sagen, dass mir die Folge gut gefallen hat. :thumbup:
      Sie orientiert sich halt, im Unterschied zu der von O.Döring, eng an der Vorlage, aber das Ergebnis habe ich ganz und gar nicht als irgendwie veraltet oder zu sapnnungsarm gegenüber der Moderneren" Variante empfunden.
      Im Gegenteil! Das Ganze ist ausgesprochen kurzweilig, und so, wie das Boot zunächst noch eher ruhig den Amazonas hinauftuckert, steigert sich auch die von den Ameisen ausgehende Gefahr Schritt für Schritt, bis sie schließlich nicht einmal mehr der skeptische Kapitän Guerilleau ignorieren kann.
      Perfekter Spannungsaufbau mit beklemmendem Höhepunkt.
      Eine angenehme, passend ausgesuchte Cast aus teils sehr unverbrauchten Sprecher, teils bekannten Stimmen, die aber durchweg alle ihre Sache wirklich prima machen - so muss es sein!
    • Ich habe das Hörspiel gerade ein zweites Mal gehört, aber wirklich warm bin ich auch diesmal nicht damit geworden.
      Kann allerdings auch nicht sagen warum. :schulter:
      Vielleicht einfach nur zu viel Gerede ...

      Auch die plötzliche Besinnung des Kapitäns auf soldatische Tugenden (in Bezug auf Da Cunha) ist völlig Fehl am Platz.
      Hallo ... Es handelt sich um Söldner, die die Dinge für den Schiffseigner in dessen Sinne regeln.

      Fast schon unfreiwillig komisch die Szene vorher, als sie das Boot entdecken.
      Das sind zwei entstellte Tote an Bord, und es heißt dann sinngemäß "da scheint irgendetwas nicht in Ordnung zu sein".

      Ich wollte zwar nicht vergleichen, aber die andere Version der Geschichte gefällt mir wesentlich besser.

      @MonsterAsyl Ich habe es so verstanden, dass nicht der Schiffseigner der Auftraggeber von Holroyd ist, sondern seine Werft.


      Gruß, Frank
      Wo Leidenschaft ist, da ist auch Hoffnung.
    • Frank schrieb:

      aber die andere Version der Geschichte gefällt mir wesentlich besser.
      Ja, aber diese hier ist ja die authentischere Fassung, da muss man dann die "Schuld" für solche Sätze oder Verhaltensweisen der Figuren eher bei H.G. Wells suchen.
      Mich hat das Benehmen des Kapitäns jetzt auch nicht weiter gestört, er ist halt kein sonderlich sympathischer Charakter und führt ein recht hartes Regiment, bei dem er keine Schwachheiten durchgehen lässt.
      Außerdem hat man den Eindruck, dass für ihn auch nicht sein kann, was nicht sein darf bzw. was seine Vorstellungswelt überschreitet.

      Mir gefielen beide Versionen auf ihre Art und Weise gut, was z.B. bei der "Zeitmaschine" nicht der Fall war, da hatte und hat ;) Döring für mich ganz klar die Nase vorn.
    • Klar, die Vorlage ist ein Kind ihrer Zeit.
      Und dass sich das Gruselkabinett meistens sehr genau daran orientiert finde ich auch sehr gut.

      Dass mir das Endergebnis dann mal sehr gut und manchmal auch weniger gut gefällt ist dann einfach so. ;)


      Sehr interessant finde ich übrigens auch die unterschiedliche Aussage ganz zum Schluss der beiden Hörspiele.
      Beim GK heißt es Mensch oder Ameise.
      Bei Folgenreich dagegen Mensch und Ameise; und beide auf Augenhöhe.

      Gruß, Frank
      Wo Leidenschaft ist, da ist auch Hoffnung.
    • Obwohl man dazu natürlich noch schreiben könnte, dass ein Hörspielskript sehr nah an der Vorlage bleiben kann und dennoch weit weniger überzeugen als diese, weil es sie eben nicht angemessen transportiert. Das hat es beim Gruselkabinett für meinen Geschmack bereits sehr oft gegeben. Leider.
      Und nicht selten verändert Marc Gruppe die Vorlage bei seiner Bearbeitung auch. Ich denke da an die Banalisierung eines der Höhepunkte bei Dorian Gray, als es zur Konfrontation zwischen dem Titelhelden und dem Maler Hallward kommt. Dafür gab es keine zwingende Notwendigkeit, wie auch in manch anderem Fall. Hier wäre ein Anlasten in Richtung Autor nicht korrekt.

      Überhaupt denke ich, dass man diese Unterscheidung nicht treffen sollte. Wenn ein Skriptschreiber, ein Hörspielproduzent sich eines Stoffes annimmt, dann macht er sich mit diesem auch ein Stück weit gemein, zumindest in dem Rahmen, in dem er sich an der Vorlage orientiert. Da dann bei Kritik im Nachhinein zu sagen: Naja, ist ja nicht sein "Fehler" - das stand ja schon so in der Vorlage, ist für mich abwegig. Klar, man mag dann auch den Autor kritisieren. Aber den Hörspielmacher entlastet das nicht. Er hätte es ja - wie in anderen Fällen auch - ändern können. Tut er es nicht, muss er sich eventuelle Kritik gefallen lassen. :)
    • Ich habe heute zum ersten diese Folge gehört. Sie hat mir richtig gut gefallen. Ich fand dieses ständige Unheil, das über den Personen „schwebte“, dass sich langsam zu einem großen Finale aufbaute sehr gelungen. Schaurig und unheimlich - so mag ich die Serie. Während dem Hören musste ich mehrmals überlegen wer denn wirklich „die Bösen“ sind? Die Ameisen oder der Mensch? Mir gefiel diese Vertonung besser als jene von Döring :zustimm: