Enttäuschendes Hörspiel ohne jeden Höhepunkt
Auf der Suche nach einem Seeungeheuer gerät der französische Meeresbiologe Professor Annorax in die Fänge des mysteriösen Kapitäns Nemo, der sich verbittert in einem hochtechnisierten Unterseeboot eine Parallelwelt erschaffen hat, um von dort aus bittere Rache üben zu können an einer Menschheit, die ihm alles genommen hat.
Mit 20.000 Meilen unter dem Meer nehmen sich Titania Medien in ihrer erfolgreichen Reihe Gruselkabinett erstmals des französischen Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) und mit ihm eines seiner bekanntesten Werke an. Die Geschichte des ebenso rätselhaften wie finsteren Kapitäns Nemo auf seinem machtvollen Unterseebot, der Nautilus, hat bereits viele Vertonungen gefunden, von denen allerdings die meisten deutlich weniger üppig geraten sind. Die Version des Gruselkabinetts wartet mit einer Gesamtlauflänge von über 116 Minuten auf, was zu der Frage führt, ob Vorlage und Umsetzung genügend Raum bieten, um diese lange Spielzeit auch zu tragen.
An dieser Stelle sei unbedingt angeführt, dass ich die Vorlage selbst nicht kenne. Die nachfolgende Auseinandersetzung mit der Geschichte bezieht sich also allein auf die Umsetzung durch die Herren Gruppe und Bosenius. Eventuelle Abweichungen von der Originalgeschichte finden keine Berücksichtigung. Auch wird bei der Betrachtung der einzelnen Handlungselemente dem Umstand Rechnung getragen, dass das Original von Verne auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Eine Betrachtung des Plots unter dem Aspekt (heutiger) Plausibilität, wenigstens in Bezug auf den Stand der Technik, verbietet sich darum. Der fiktive Rahmen selbst erscheint in sich durchaus stimmig und konsequent.
Die Handlung dieses Zweiteilers schreitet langsam voran. Ehe es zur ersten Begegnung mit Kapitän Nemo kommt, gehen erst zehn komplette Tracks des Hörspiels dahin, und ein weiteres Mal entscheidet sich Marc Gruppe dafür, die wichtigsten Handlungselemente über lange Dialoge zu transportieren, indem er den Protagonisten Annorax erst mit seinem Diener Conseil, dann mit einem Reporter und schließlich ein weiteres Mal mit seinem Diener plaudern lässt, wobei nicht wirklich fesselnde Dialoge entstehen, sondern der Austausch über kurz oder lang zu einem Monolog Annorax gerinnt, dem das jeweilige Gegenüber lediglich als eine Art Stichwortgeber dient. Diese Praxis der Exposition haben wir nun schon sehr oft bei Herrn Gruppes Skript- und Dialoggestaltung beobachten müssen, und wie so oft trifft sie auch dieses Mal nicht. Der von ihm gewählte mag der einfachste Weg sein, den notwendigen Rahmen einer Geschichte, die sich im folgenden erst noch entfalten soll, für den Hörer darzustellen, leider zeigt er sich in der Umsetzung ohne jeden Reiz, da den Dialogen eine eigene Dramaturgie fehlt: Sie erschaffen und offenbaren keine Rätsel, es gibt in ihnen kaum gegenläufige Motivationen oder gar Konflikte, und auch eine alles würzende Prise Humor suchen wir vergebens. Alles plätschert Track für Track dahin, und man atmet erleichtert auf, als die handelnden Personen endlich auf dem Schiff Abraham Lincoln angekommen sind, und die Geschichte nicht nur im übertragenden Sinne an Fahrt zu gewinnen scheint. Diese Hoffnung hält sich jedoch nur kurz. Zwar schafft es Dietmar Wunder in seiner Rolle als Ned Land, durch die leicht abweisende und beinahe rüde Intonation innerhalb der Dialoge einen kleinen Kontrapunkt zu setzen, doch die Inszenierung greift diese einsetzende Dynamik nicht auf, sondern ergeht sich wieder in endlosen Dialogen und Beschreibungen, anstatt den Fortlauf der Handlung in einer intensiven und mitreißenden szenischen Abfolge zu transportieren. So werden zum Beispiel Ned Lands Wechsel auf den Walfänger und die anschließenden Aktionen nicht direkt in Szene gesetzt, sondern im Hintergrund platziert, während Annorax und Farragut dies alles beschreiben und kommentieren. Ebenso verhält es sich bei der Konfrontation mit dem vermeintlichen Seeungeheuer. Der Hörer bekommt kaum Gelegenheit, in die Handlung einzutauchen, weil schon allein durch die Art der Umsetzung eine übergroße Distanz des Hörers zum Geschehen geschaffen und gehalten wird. Dadurch verschenken die Herren Gruppe und Bosenius leider eine Menge an Potential, die hier für spannende und mitreißende Szenen gelegen hätte.
Auch die Lage der Schiffbrüchigen wird erst lang und breit mit launigen Dialogen ausgewalzt, ohne jede Dramatik aufkommen zu lassen, und wenn sich endlich die entscheidende Luke des Unterseeboots öffnet, wird zunächst ausschweifend darüber diskutiert, ob man einsteigen will, ehe die Handlung endlich fortschreiten darf. Hier wird mit einer Opulenz ein Plot zerdehnt, die, um mal eine Dauer-Floskel aus dem Repertoire des Gruselkabinetts zu benutzen, tatsächlich seinesgleichen sucht. Jeder sanfte Anklang von Spielhandlung erstickt förmlich unter dem Dauer-Gerede der handelnden Personen.
Hinzu kommt, dass sie in der Art, wie sie durch den Plot geführt werden, zunehmend unglaubwürdiger werden. Gerade noch der Katastrophe entkommen, sind sie schon wieder zu launigen Plaudereien und heiteren Betrachtungen aufgelegt, der Professor freut sich über die meeresbiologische Fachliteratur, die er an Bord des U-Boots entdeckt, und Conseil frönt ausgiebig seinen übertrieben servilen Bekundungen. Über diesen Reigen an Banalitäten ist es zwischenzeitlich schwierig, die Konzentration zu halten, und als Nemo endlich zum Ende der ersten CD selbst auftaucht, was vermutlich in der Absicht geschah, durch die späte Präsenz des mysteriösen Antipoden einen dramatischen Höhepunkt zum Ende des ersten Teils zu erzeugen, verpufft auch dieser Moment unter langen Wortwechseln, die keinerlei Dramatik in sich bergen, keinerlei Handlungsfortschritt und keinerlei eigenen Reiz, sondern über weite Strecken bloß das bisherige Geschehen noch einmal aufbereiten. Vor allem aber hätte es nicht des überlangen Erläuterns der technischen Details der Nautilus gebraucht, denn was im Erscheinungsjahr des Romans noch auf ganzer Linie verblüffen musste, erscheint heutzutage als Allgemeinplatz, so dass hier eine andere Akzentuierung, vor allem auch eine größere Pointiertheit, wünschenswert gewesen wäre.
Und so zieht es sich durch das gesamte Hörspiel. Überall hätte Stoff für reizvolle und mitreißende Spielszenen gelegen, doch das Potential wird nicht einmal im Ansatz ausgeschöpft. Der Besuch der Unterwassergärten, Konfrontationen mit gefährlichen Tieren, die Ereignisse bei den Perlentauchern, ein untersseeischer Vulkanausbruch und schließlich sogar ein Besuch in der versunkenen Stadt Atlantis – all dies wird kurz und beinahe beiläufig mit ein, zwei blumigen Sätzen erwähnt, ehe sich wieder in elender Breite dem nächsten ermüdenden Dialog hingegeben wird. Selbst beim Angriff der Riesenkalmare kommt nicht einmal der Funken von Spannung auf. Wieder entscheidet sich Marc Gruppe dafür, diesen aus der Distanz zu schildern, indem er es Annorax überlässt, das Geschehen zu beschreiben, während sein Diener Conseil diesen eigentlich doch dramatischen Moment durch seine übertrieben servile Haltung wieder verflachen lässt.
Offensichtlich findet Skriptautor Marc Gruppe für sich keine geeigneten Möglichkeiten, das Geschehen auf eine überzeugende Weise szenisch umzusetzen und verfällt darum immer wieder in seine alte Gewohnheit, die Spielhandlung mittels weit ausschweifender Dialoge ohne eigene Dramaturgie umzusetzen, was die Hörspiele der Reihe Gruselkabinett im Ganzen viel zu oft zäh und langatmig erscheinen lässt. Wenn er dann zum Ende hin sogar seinen Protagonisten Annorax in einem leise vorgetragenen Monolog über die Motive des Kapitäns sinnieren lässt, wirkt die dargebotene Hörspielumsetzung erst recht angestaubt und begrenzt in ihren Mitteln, und man möchte dringend auf aktuelle Produktionen verweisen, die dem Medium Hörspiel immer wieder bisher ungekannte und höchst beeindruckende gestalterische Mittel abringen, um die unterschiedlichsten Plots auf überraschende und neue Art in Szene zu setzen. Das Skript, dem 20.000 Meilen unter dem Meer offensichtlich folgt, erscheint mir dagegen eher uninspiriert. Beinahe wie der Weg des geringsten Widerstandes. Dass Marc Gruppe es auch anders kann, hat er erst bei der letzten Folge der Reihe, dem wunderbaren Hörspiel Ewige Jugend, vortrefflich unter Beweis gestellt. Bei diesem Werk nach Jules Verne verfällt er jedoch leider wieder in die alten Muster, und man fragt sich unweigerlich, ob die vielen Längen nicht auch der CD-Lauflänge geschuldet sein könnten und es nicht im Ganzen vorteilhafter wäre, eine Geschichte, die man umzusetzen versucht, im Zweifel eher zu kurz als zu lang auszuarbeiten. Bei Titania hat man sich in der Vergangenheit leider oft für die zweite Alternative entschieden. Vielleicht sollte man es in Zukunft mit der ersten versuchen, um dauerhaft Produktionen von der Klasse einer Ewigen Jugend hinzubekommen.