Charlie Chan - 1 - Das Haus ohne Schlüssel

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    • Charlie Chan - 1 - Das Haus ohne Schlüssel

      Hier mal meine Rezension von Charlie Chan - Folge 1 vom Dezember 2016:


      Charlie Chan war der Held von sechs Romanen des Autors Earl Derr Biggers, die zwischen 1925 und 1932 erschienen. Durch eine Reihe von Filmen, die während der 1930er und 1940er zuerst von Fox und anschließend von Monogram Pictures produziert wurden, brachte es der hawaiianische Detektiv mit asiatischen Wurzeln zu relativ großer Bekanntheit, ehe er anschließend weitgehend in Vergessenheit geriet. Nun bringt Allscore Media den Ermittler zurück. Und nach dem Hören von Charlie Chan - Folge 1: Das Haus ohne Schlüsel fragt man sich unweigerlich: Wieso eigentlich?

      Allscores Charlie Chan ist ein typischer Vertreter des aktuellen Hörspiel-Mainstreams: Es handelt sich um eine Krimiserie, denn Krimi geht angeblich immer; es wird auf uraltes Ausgangsmaterial zurückgegriffen, denn das kostet keine Lizenzgebühren; und alle Rollen wurden mit namhaften Sprecherinnen und Sprechern besetzt, um durch Namedropping bzw. mit stimmlichen Budenzauber davon abzulenken, dass der Hörer konzeptionell nichts Neues zu erwarten hat. Als vierten Punkt könnte man noch anführen, dass wie eigentlich fast immer eine männliche Hauptfigur im Zentrum des Geschehens steht. Aber angesichts der Ära, aus der die Vorlage stammt, ist das ja quasi selbstverständlich.

      Nun kann man den Produzenten erst einmal keinen Vorwurf machen, dass sie für ihre neue Serie an einer Strategie festhalten, die sich bisher stets als erfolgreich erwiesen hat. Denn es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass sowohl Sherlock Holmes – Die neuen Fälle als auch Prof. van Dusen – Die neuen Fälle, die beide nach dem gleichen Strickmuster konzipiert sind, über eine loyale Gefolgschaft verfügen. Doch während das Label bei den Geschichten um den Deerstalker-Träger aus der Baker Street sich nach wie vor auf die Zugkraft der Rode-Groeger-Personalityshow verlassen und sich beim Mehrfach-Prof. in die die Tradition der beliebten Radiohörspiele von Michael Koser stellen kann, fehlt bei Charlie Chan dieses „kultige“ Element. Soll heißen: Niemand hat nach einer Charlie Chan-Serie verlangt - und zumindest Folge 1 lässt in einem auch nicht das Gefühl aufkommen, dass man dies vor Jahren schon hätte tun sollen. Ignoriert man einmal das Hawaii-Setting, dann kommt man sich vor, wie in einer Edgar-Wallace-Geschichte: In den ersten 20 von insgesamt ca. 80 Minuten werden gefühlte 128 Personen eingeführt, von denen jeder der spätere Mörder sein kann (das spätere Opfer einmal ausgenommen). Mindestens die Hälfte davon trägt – weil mit einander verwand - den gleichen Nachnamen, was nicht unbedingt der Orientierung zuträglich ist. Doch da man nie genug Charaktere haben kann, weil es immer irgendwelche Klischeerollen gibt, die auszufüllen sind, kommen im späteren Verlauf noch ein paar Figuren hinzu. Vor diesem Background der hawaiianischen Version des Denver-Clans Ermittlungen durchzuführen, ist also nun die Aufgabe des Schlaukopfs Charlie Chan. Gespielt wird er von Helmut Krauss, der zweifellos vieles kann, aber nicht glaubwürdig diese Figur verkörpern. Was er abliefert, hat mit einem asiatisch-stämmigen Amerikaner ungefähr soviel zu tun, wie Hamburger mit Ente Süß-Sauer. Da mag Chan in einer Szene zwar abstreiten, er habe seinen Sinnspruch von irgendeinem Kalenderblatt abgerissen, doch Krauss trägt diese Weisheiten tatsächlich so vor, als kämen sie genau von ebendort. Und weil das Ablassen dieser Sprüche neben Phlegmatismus Chans einziges Markenzeichen bleibt, lässt Allscore somit einen reichlich langweiligen Detektiv auf die Hörerschaft los, dessen Kriminalfall so leidenschaftslos dahinplätschert wie die Wellen am Strand von Waikiki an einem windstillen Tag. Unterm Strich sind es Zufälle, die den Plot am Schlurfen halten ("am Laufen halten" wäre eine übertriebene Formulierung), was ebenfalls dazu führt, dass man Charlie Chan seinen Status als toller Ermittler nicht abnimmt. Zumal es schlussendlich eine hingeworfene Bemerkung ist, die ihn auf die Spur des Täters führt. Und die mysteriöse Kiste, hinter der als Spannungsmoment gleich mehrere Parteien her sind, entpuppt sich als McGuffin, tut also in Wahrheit nichts zur Sache. Irgendwann ist der Täter dann gefasst und Chan darf zum Abschied noch einen schlauen Spruch zum Besten geben. Das war's. Verdammt, können 80 Minuten lang sein.

      Biggers Originalroman ist inzwischen 91 Jahre alt. Da kann man von ihm keinen Handlungsverlauf erwarten, der heutigen Ansprüchen an zeitgemäßes Storytelling gerecht wird. Aber von einer Hörspielproduktion aus dem Jahre 2016 kann man es tun. Anstatt jedoch den Plot und die Figur behutsam zu modernisieren, hat Marc Freund jeglichen Staub, den der Roman inzwischen angesetzt hat, unangetastet gelassen, wodurch er alle erzählerischen Schwächen der Vorlage ins aktuelle Hörspiel transportiert. Da kann dann auch ein Cast, bestehend aus lauter bekannten und erfahrenen Stimmen, nichts mehr ausbügeln. Wie schon der Blick auf die Besetzungsliste erwarten ließ, gibt es an der Leistung der beteiligten Sprecherinnen und Sprecher in der Tat nichts auszusetzen (Von Helmut Krauss einmal abgesehen, der aber schlichtweg fehlbesetzt ist). Doch was nützt das, wenn man diese sprecherische Qualität an solch ein träges und uninspiriertes Skript verschwendet? Apropos Inspiration: Tom Steinbrechers Sounddesign geht insgesamt durchaus in Ordnung; der Soundtrack macht jedoch den Anschein, als wüsste Christian Bluthardt nicht so recht, was er aus der Aufgabenstellung „Krimi auf Hawaii im Jahre 1920“ machen sollte. Die Musik wirkt auf jeden Fall beliebig und schafft keine Atmosphäre. Und über die graphische Gestaltung des Covers dieser Hörspiels reden wir besser erst gar nicht...

      Wer angesichts der zahlreichen Hörspiele, die jede Woche in den Handel kommen, sich dafür entscheidet, Charlie Chan - Folge 1: Das Haus ohne Schlüssel auszulassen, hat meiner Meinung nach nichts verpasst. Mit dem Willen, die betagte Vorlage vom Spannungsbogen her den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen und insbesondere die Hauptfigur zu modernisieren, hätte es Allscore vielleicht gelingen können, mit Charlie Chan dem Hörspielpublikum einen weiteren interessanten Ermittler zu präsentieren. So aber bleibt von diesem Hörspiel nicht mehr als der Versuch, einen überaus zähen Plot durch einen qualitativ hochwertigen Cast aufzupeppen. Es mag Hörer geben, denen jede Menge bekannte Stimmen schon reichen. Mir aber nicht. Wenn eine Produktion nichts Anständiges zu erzählen hat, dann ist es mir gleich, wer in diesem Nichts mitspielt. Wer unbedingt etwas kaufen will, das mit Hawaii zu tun hat, sollte sich besser eine Pizza Hawaii kaufen. Oder vielleicht ein Hawaiihemd. Da wäre er dann auch wieder, der „Kultfaktor“...