Vergessene Märchen - 1 - Der Wandergeselle / Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte (RRR)
Zum Inhalt:
Der Wandergeselle:
Ein junger Metzgerssohn geht für drei Jahre auf Wanderschaft, um sein Glück zu machen. Auf dem Weg wird er von einer Räuberbande überfallen und sein Hund erschlagen. Dem Wandergesellen jedoch gelingt die Flucht und er trifft auf ein altes Mütterchen, welches ihm drei Hunde schenkt...
Vom Knaben der, das Hexen lernen wollte:
Der leichtgläubige Friedel will unbedingt hexen können. Zu diesem Zweck geht er in einen tiefen dunklen Wald, um jemanden zu finden, der ihn unterrichtet...
Zur Produktion:
Zunächst einmal ziehe ich den Hut vor RRR, daß ein junges Label so mutig ist (als dritte Hörspielproduktion) eine Märchenreihe zu starten. Schon seit Jahren ist es um das Genre Märchen eher still geworden (Ausnahme sind die Märchenadaptionen von Titania) , was diverse Gründe hat. Zum einen hat sich bedauerlicherweise bei vielen heutzutage die Ansicht durchgesetzt, daß Märchen eben doch nicht gut für Kinder seien und zum anderen, weil die Kinder selbst, aus Mangel an Kenntnis, wohl heutzutage eher zu "Fantasy-Literatur" greifen würden. Umso mehr freut es mich, daß RRR diese Reihe angefangen hat und damit Kindern wieder den Zugang zu Märchen ermöglicht. Angenehmerweise greift das Label nicht auf die gängigen und durch zahlreiche Veröffentlichungen bereits so bekannten Märchen der Gebrüder Grimm (Schneewittchen, Dornröschen, etc.) zurück. Stattdessen hat man sich vorgenommen dem Publikum werkgetreue Hörspieladaption von Ludwig Bechstein (24.11.1801 - 14.05.1860) zu präsentieren. Den Auftakt bilden zwei Märchen aus Bechsteins Buch "Neues deutsches Märchenbuch", welches 1856 erstmals veröffentlicht wurde. Lobenswerterweise verzichtet Skriptautor und Regisseur Lars Dreyer-Winkelmann auf sprachliche "Modernisierungen" und behält den heutzutage leicht antiquiert klingenden Sprachstil bei. Thematisch passen die Erzählungen sehr gut zueinander, da in beiden Kannibalismus eine Rolle spielt. Dieser wird allerdings nur angedeutet, nicht aber akustisch umgesetzt. Überhaupt muss ich RRR ein großes Kompliment machen, was die Gewaltdarstellungen angeht. Märchen sind nun mal oft grausam und da es sich um eine werkgetreue Vertonung handelt, sind diese auch im Hörspiel erhalten geblieben. Dadurch, daß Lars Dreyer-Winkelmann der Versuchung widerstanden hat, gewaltbehaftete Szenen zu zelebrieren und diese stattdessen entweder sehr kurz hält, oder nur durch den Erzähler wiedergeben lässt, relativiert er die geschilderten Grausamkeiten enorm. Aus diesem Grund halte ich auch die empfohlene Altersfreigabe von 6 Jahren für gerechtfertigt. Beide Märchen haben mir sehr gefallen. Die erste Geschichte "Der Wandergeselle", welche auch den Großteil der ca. 50 Minuten Laufzeit einnimmt, bleibt nicht nur bis zum Schluss spannend, sondern bietet darüberhinaus bereits im Verlauf mehrere Höhepunkte. Die zweite Geschichte "Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte", läuft knapp 16 Minuten und ist mit seiner etwas ruhigeren Gangart der perfekte Ausklang für die CD.
Die abwechselungsreichen Melodien von Frank Holmann passen ausgezeichnet zu den Geschichten und reichen von einfach bis opulent. Ich hätte mir allerdings gewünscht, seine Musik noch öfters zu hören, beispielsweise um Übergänge zu gestalten. Bei allem Lob muss ich leider auch Kritik äussern. Da wäre zunächst einmal die Geräusche. Natürlich erwarte ich bei einem Märchenhörspiel und der damit anvisierten Zielgruppe keine ausufernde Geräuschkulisse, aber dafür sollten die eingesetzten Töne dann auch entsprechend gut klingen. Im Großen und Ganzen tun sie das auch, aber umso schmerzlicher fallen die "Patzer" auf. So hört sich für mich beispielsweise das prasselnde Feuer viel zu gleichmäßig an. Gleiches gilt auch für das Vogelgezwitscher im Wald, welches mich eher an einen "Revierkampf" im Dauerloop erinnert. Dazu kommt noch, daß meines Erachtens einige Töne zu leise ausfallen, während andere dagegen zu laut klingen. Diese "Unausgewogenheit" in der Abmischung kommt bedauerlicherweise auch bei den Sprechern zu tragen. Um die Feinheiten besser raushören zu können, hatte ich das Hörspiel schon recht laut gestellt, aber trotzdem konnte ich beispielsweise das Mütterchen hinter ihrer dicken Tür kaum verstehen. Im Gegenzug hat mich dann aber das überlaute Räuspern des Teufels erschreckt. Mein letzter Kritikpunkt betrifft das Arrangement einzelner Szenen, bei der meiner Meinung nach die Einspielungen der Sprecher nicht immer ganz gelungen sind. Exemplarisch nenne ich hier mal den Dialog zwischen dem Wandergesellen und der Wirtin in der Schlachterhalle. Zwar werden beide Sprecher unterschiedlich laut eingespielt, um die entsprechende räumliche Distanz zu suggerieren, aber dadurch das beide immer wieder von links "reinkommen", bleibt die rechte Seite quasi leer.
Zu den Sprechern:
Dirk Heinrich(Erzähler) macht seine Sache als Erzähler gut, aber für einen "Märchenonkel" wäre mir eine brummigere und älter klingende Stimme lieber gewesen. Martin Sabel(Wandergeselle) ist einfach großartig in seiner Rolle des wackeren Jünglings, der so manches Abenteuer zu bestehen hat und sich nicht scheut, es auch mit dem Teufel selbst aufzunehmen. Bei Anette Gunkel(Mütterchen & Hexe) bin ich ein wenig zwiegespalten. In dem Part des freundlichen "Mütterchens" klingt sie mir ein wenig jung für eine alte Frau. Erstaunlicherweise ist das in ihrer Rolle als "Hexe" anders, denn da hört sie sich so an, wie man das von einer alten Hexe erwartet: leicht krächzend und mit einer gewissen Reife in der Stimme. Sprecherischers Highlight ist für mich Bert Stevens(Wirt) der hörbaren Spaß daran hat, den finsteren und brutalen Gastwirt zu sprechen. Beinahe ebenso gut hat mir Ralf Spengler(Teufel) als der "Leibhaftige" gefallen. Mit dem diabloischen Unterton in der Stimme ist er die perfekte Besetzung für den Leibhaftigen. Bei Dagmar Bittner(Wirtin & Lieschen) geht es mir so ähnlich wie schon bei Anette Gunkel. Einerseits gefällt sie mir nicht so recht als Gastwirtin, da sie mir unter den gegebenen Umständen ein wenig zu emotionsarm agiert, andererseits begeistert sie mich als warmherziges Mädchen, daß um ihre Liebe kämpft. Oliver Rieche(Kutscher) spricht den arglistigen Kutscher mit der nötigen Portion Verschlagenheit in der Stimme und Tanja Niehoff(Prinzessin), mit ihrem lieblichen Tonfall, bietet den dazu passenden Kontrast. Ebenfalls gut gefallen hat mir Jan Koppers(Weinwirt) als leicht überheblicher Schankmeister. Timo Wussow(Kammerdiener & Knabe) hat mich zwar bei seinem Kurzauftritt als Bediensteter überzeugen können, aber als Junge hat er mir gar nicht gefallen. Zum einen weil seine Stimme für diesen Part meiner Meinung nach viel zu alt klingt und zum anderen weil er über weite Zeiträume zu wenig spielt und er zu oft einfach abgelesen klingt.
Fazit:
Trotz leichter Schwächen in der Produktion, ein gelungener Auftakt zu einer neuen Märchenserie, die hoffentlich noch viele Fortsetzungen haben wird.
Das Hörspiel "Vergessene Märchen - 1 - Der Wandergeselle / Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte"
ist erhältlich bei:
RRR
oder bei:
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oder bei:
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PS. @dark_clouds
Ich freue mich immer, wenn die Booklets Zusatzinformationen beinhaltet und nicht nur Werbung. Aber eins verstehe ich nicht. Warum habt ihr denn die Daten bei Bechstein weggelassen? Das wäre bestimmt für viele "neue/junge" Hörer nicht uninteressant. Ach ja, die Verwendung der Bleistiftzeichnung finde ich zwar gut, aber wenn Du sie etwas dünner / schwächer gemacht hättest, wären die Texte zu Bechstein und die Sprecherangaben einfacher zu lesen gewesen. Zumindest für so einen alten Sack wie mich.
OTR-Fan